Volltext: Bruckner-Blätter Nummer 1/2 1932 (Nummer 1/2 / 1932)

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Anton Bruckner im Spiegel seiner Messen 
Bruckners Messen sind samt und sonders auf oberösterreichischem 
Boden entstanden. Der Florianer Aufenthalt brachte die Missa solemnis, 
die Linzer Fahre die drei anderen Messen; letztere innerhalb der kurzen 
Zeitspanne von fünf Jahren. Die allgemeinen kirchenmusikalischen Ver 
hältnisse jener Zeit waren keineswegs erfreulich. Es herrschte Mangel 
an wertvollen Kompositionen und eine gewiße Öde und Interesselosig 
keit im musikalisch-liturgischen Leben. Über die Wiener Klassiker 
hinaus (denen aber bisweilen wieder das kirchliche Moment mangelte) 
gab es in unseren Ländern blutwenig, was auf künstlerische Güte An 
spruch erheben durfte. In den Kirchen war vielfach ein schales, saft- 
und kraftloses Fortmusizieren, oft des Gotteshauses ganz unwürdig. 
In dieser Zeit also schrieb der Meister seine Mesisen, schrieb sie — von 
der Missa solemnis etwa abgesehen — in einem Stil, den er sich selbst 
geschaffen, in einer Form, die er sich selbst zurecht gelegt, unbekümmert, 
ob die Sache gefallen würde oder nicht (eine Verbeugung vor der Menge 
hat der Meister überhaupt nie gemacht!), ob die Werke aufführbar seien 
oder nicht. Bruckner hat immer aus innerer Nötigung und so geschaffen, 
wie es sein künstlerisches Gewissen ihm vorschrieb. Wie drei Bergriesen 
standen die letzten Messen plötzlich da. Ja, da riß man freilich die Augen 
auf und starrte staunend und verwundert hinan. Da kam manch zwerg- 
hafter Beckmesser an den Meister herangeschlichen und wußte sich nicht 
Rat. Das Zeug, was dieser Domorganist schuf, war aber auch für ein 
zünftiges Ohr schon gar nicht zum Anhören. Man forscht nach Vor 
bildern. Haydn, Schubert? Ja, und doch wieder ganz anders! Pale- 
strina? Ach "ja, und doch wieder nicht Palestrina, Bach? Gewiß, in der 
Technik, aber mit welch unerhörtem Inhalt! Und gar diese ganz neue 
und freie Orchestrierung, dieses obstinate, symphonische Gepräge voller 
kontrapunktischer Linien und Finessen! Nein, das war nicht Gegenwarts 
musik, keine Kost für die lebende Generation. Tatsächlich war erst dem 
kommenden Geschlechte eine ausgiebigere Pflege des „kirchlichen“ Bruck 
ner Vorbehalten. 
Die Missa solemnis in Brno 11, für die Inthronisation des 
Propstes Friedrich Märzer (14. Sept. 1854) geschaffen, läßt noch nicht 
mit absoluter Sicherheit auf die nachmalige Größe des Meisters schließen. 
Aus manchen Teilen des Werkes lugen noch ganz unverhohlen die klas 
sischen Vorbilder heraus, selbst dem „Italianisimo“ wird ausnahmsweise 
noch ein bescheidener Tribut entrichtet. Das was "der Meister in der 
Folge so ängstlich vermieden: Alles Bravouröse, Konzertante, Koloratur- 
mäßige, hier hat er es noch nicht völlig abgestreift, wenn er auch immer 
innerhalb des ästhetischen Rahmens bleibt. Man müßte beim Anhören 
dieser übrigens ziemlich umfangreichen Messe nicht unbedingt auf 
Bruckners Autorschaft raten. Allerdings, wenn man genauer hinhorcht, 
gewahrt man auch schon hier gewisse Spezifika des Meisters und all die 
künstlerischen Ansätze, die sich alsbald so wunder herrlich entfalten 
sollten. Schon die Wahl der B-moll-Tonart für das Kyrie bedeutet eine 
Neuerung zum kirchenmusikalischen Schaffen jener Zeit. Das thematische 
Material ist klar und sauber, trägt aber noch nicht die ausgesprochene 
Bruckner-Physiognomie und präsentiert sich noch weniger in jener künst 
lerischen organischen Einheit,, wie wir sie bei den drei großen Messen 
finden. Daß es beim Meister, *dem schon damals der Kontrapunkt ganz 
im Blute steckte, ohne Fugen nicht abgeht, versteht sich von selbst. 
Ebenso fehlt es nicht an kontinuierlichen Bässen und — was gegen den 
späteren Bruckner spricht — an diversen Solis. Weirn. wir erwägen, 
welch kritisch-rigorosen Standpunkt Meister Antonius hinsichtlich seines 
Schaffens einnahm, dann darf es uns nicht wundern, daß dies Werk für 
seine Einschätzung sozusagen gar nicht existierte.
	        
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