Volltext: Innviertler Kalender 1936 (1936)

Das war meine erste Bekanntschaft mit der hohen Dame 
„Protektion." Für die Bekleidung unserer Familie sorgte schlie߬ 
lich meine Stiefschwester Marie in München hinreichend Nur 
mit Kinderschuhen konnte sie uns nicht behilflich fein. 
Der karge Verdienst, den damals mein Vater als Agent in 
Kautsch ukstarnpigli en, Oelporträts und Kreidezeichnungen nach 
Lichtbildern erzielte, reichte für unsere Familie knapp zur aller- 
bescheidensten Lebensweise. 
S'ch suchte und fand für die Zeit, solange ich noch in die 
Schule.gehen mußte, eine Betätigung, die mich die Wohltat der 
Weihnachtsbescherung armer Kinder wenigstens teilweise ver¬ 
schmerzen ließ. 
Sobald im Herbst die Rekruten zur Militärdienstleistung ein¬ 
gerückt waren, gm® ich, täglich am Abend in die Kaserne, machte 
auf Geherß Botengänge und hausierte nebstbei mit allerlei Kram, 
tne den Bedürfnissen der jungen Baterlandsderteidiger angepaßt 
waren. Nur Briefpapier und Zündhölzer führte ich in Eigenregie. 
Tie übrigen Waren verkaufte ich. für einen Gemischtwaren- 
handler gegen Gewinnanteil. Während dieser ersten sechs Wochen, 
in denen die jungen Krieger keinen „Ausgang" hatten, verdiente 
tchi soviel, daß die Mutter nicht nur für mich und meinen Bru- 
der, sondern auch für sich selbst Schuhe machen lassen: konnte. 
Und wenn tm Winter die Zeiten schlecht wurden, so daß bei uns 
der Dl,sch immer karger gedeckt war, da war ich kein seltener Gast 
bettn Stag er Bäckermeister in der Borstadt. Dort bekam ich, wenn 
tch Hunger Partie, ein lorbcntlicheiv (Sffen, Knödet mit Sauerkraut, 
der Sohn, der Toni, ein Jugendfreund von mir, versorgte mich 
hinreichend mit Brot. 
Oft, -oft, dächte ich mir, nur einmal im Leben möchte ich es 
so gm haben wie die „Bäckerjung" (Bäckergesellen) beim Stö¬ 
ger, im Himmel, vermeinte ich', könnte es1 einem auch nicht mehr 
viel besser ergehen. Tenn die „Bäckerjung" bekamen jeden Taa 
Schweinefleisch in peinlich geregelter Abwechslung zu verspeisen, 
und zwar einmal gekochtes Schweinefleisch, dann gebratenes, 
dem Selchfleifch folgte und schließlich trug die gute Sau zu Kra- 
mjelfnjöbeln oder ,,Blunz>en" bei, immer mit Sauevkraut und 
Knödeln. Unfaßlich erschien es Mir, als ein Bäckergeselle in 
meiner Gegenwart seine Stellung bei Stöger kündigte. 
Und als der Bäckermeister nach, der Ursache fragte, gab der 
sündhafte Mensch zur Antwort: „Mir wachst dös Schweinern? 
mtt Kraut und Knödl sch» beim Gnack außa!" 
Heute wäre wohl ein solcher UeberMnt undenkbar. So ließ 
ich alte Erinnerungen, die mir vom Kindesallter noch im Ge¬ 
dächtnis geblieben, vorüberziehen. 
Vieles, vieles, mich bis an die jüngsten Kinde rj ah re Erin¬ 
nernde, ist dort schon lange verschwunden. 
Die schönen, tiefen -und breiten Schanzgräben, die das 
alte FestunigKstädten säumten, die Lieblingsspielplätze der Schul¬ 
jugend find nicht mehr. 
Im verschwundenen „Fünk'ngrab'n" vulgo „Fink'nleit'n", 
dem Tummelplatz der schon reiferen Schuljugend, wurde „Sol-
	        
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