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leicht etwas oberflächlich, nur dem hübschen Brauch zulieb an¬
gebrannt werden, soll kein Lustzug kalter Kritik sie verlöschen
dürfen.
Das ureroige Menschheitsverlangen nach Licht findet im
deutschen Wesen seinen besonderen Ausdruck in weihnachtlicher
Zeit. wie ein Taumel von kleinen Lichtern flackert es durch
Dorf und Stadt eben zu dieser Zeit. Den geheimnisvollsten
Zauber haben aber doch die Adventkerzen, die einzeln brennen,
den vier Sonntagen der Erwartung zu Ehren.
wenn ich ganz tief ins eigene Herz hineinschaue, wird
mir klar, dasz ich lieber den kerzenstrahlenden Christbaum
missen möchte, als dies erste sichtlein, das in den Advent
hineinbrennt. Alle harmlose fiinderfrömmigkeit wacht auf mit
dem ersten fierzenflimmer. Und dazu all das schwere wissen
von unserer menschlichen Armseligkeit und Unvollkommenheit,
das wir, in unseren besten Stunden demütig vor dem Krip¬
penkindlein niederlegen. Bus tiefsten Herzensgründen kommt
es empor: neuer, lichter, guter Wille für heute, für morgen,
für weiter hinaus, immer weiter.
Ein fierzlein brennt in der Dämmerstunde des ersten Ad¬
ventsonntages. Den nächsten Sonntag schimmert ein zweites
mit. Später das dritte und endlich das vierte. Und das bisz-
chen ärmlicher, irdischer Schimmer in der dunklen Stube kann
zur unirdischen Brücke werden, auf der sich ein harrendes
fjerz hinüberwagt, dem Krippenlicht entgegen, geleitet und ge¬
tragen von dem Prophetenwort: Auch du — mache dich auf
und werde licht.
Dora Stielet:.
Eine Mutter seht vorüber.
Eine Mutter geht vorüber,
Senk den Blick und denk daran.
Daß auch dich einmal getragen,
In des Lebens schönsten Tagen,
Eine Mutter unterm Herzen
Seligfvoh, wenn auch in Schmerzen
Eine Mutter geht vorüber.
Heilig soll ihr Schritt dir sein;
Wie die eigne Mutter grüße
Ihre Augen, ihre Füße
Und ihr Herz, von dem in Süße,
Bald zum Licht ein holdes Wesen
Sich als zartes Kind wird lösen,
Denke an die Mutter dein! L. Hö.