Rückblick.
„Wir wollen nichts erobern, sondern nur verteidigen, was wir besitzen.
Wir werden wohl nie die Angreifenden, sondern stets die Angegriffenen
sein. Den notwendigen schnellen Erfolg kann uns aber mit Sicherheit nur
hie Offensive bringen." Mit diesen Worten aus der Denkschrift des General¬
stabes vom Jahre 1902 war Deutschlands militärische Zielsetzung für den
Krieg scharf gekennzeichnet. Die wichtigste Voraussetzung für den not¬
wendigen „schnellen Erfolg" war die Schaffung eines möglichst günstigen
Zahlenverhältnisses der eigenen Streitkräfte zu denen der Gegner; diese
Vorbedingung, die schon im Frieden sichergestellt werden mußte, war bei
Kriegsausbruch nicht erfüllt. Die Durchführung des Programms, das die
Denkschrift des Grafen Schliessen vom Jahre 1905 auch für den allmählichen
und organischen Ausbau der deutschen Wehrmacht bildete, ist von seinem
Achsolger erst spät in Angriff genommen worden. Der jüngst verstorbene
französische Generalstabschef, General Buat, weist in einer Studie über
die deutsche Armee nicht mit Anrecht darauf hin1), daß Deutschland nicht
verstanden habe, bei der Vorbereitung zum Kriege aus der beträchtlichen
Überlegenheit, welche durch die ihm zur Verfügung stehenden mächtigen
Menschenmassen in seine Hand gegeben war, Vorteil zu ziehen. Bei größerer
Voraussicht hätte es 600000 Mann mehr in Kampfeinheiten zusammen¬
stellen können, als es in Wirklichkeit aufstellte; an anderer Stelle sagt er:
„...es wäre durchaus falsch, zu schreiben, Deutschland habe im Jahre 1914
seine Kräfte bis zum höchsten Maße seiner Leistungsfähigkeit angespannt".
Diese selbst vom Gegner anerkannte Tatsache ist um so schwerwiegender, als
-gleichfalls nach einem Zeugnis aus dem gegnerischen Lager2) — für kein
anderes Volk Europas eine starke Rüstung eine so ernste Lebensfrage war,
wie für das durch seine geographische Lage militärisch am meisten bedrohte
deutsche Volk. Ein militärisch nicht genügend gesichertes Deutschland im
herzen Europas mußte aber zugleich eine Gefahr für den Weltfrieden bilden.
Noch weit unzureichender als die Kraftanstrengung Deutschlands
war die Österreich-Ungarns gewesen. Dies erscheint um so erstaunlicher,
als Österreich-Ungarn durch die veränderte Lage auf dem Balkan in erster
’) General Buat: L’armöe allemande dans ia guerre mondia’e. 1914—1918.
«) S. 4.
Weltkrieg. I. Banb. 41