Seite 78 Zeitschrift für das österr. Blindenwesen. 5./9. Nummer
tages des Näheren erörtert worden. Wir 'betrauern in seinem
Heimgang den Verlust eines Auserwählten, Gottesbegnadeten.
Zu seiner im eftabendsten Sinne frommen Anschauung gehörte
auch die Ueberzeügung, daß kein Mensch früher von Sinnen
gerufen wird, ehe' er nicht seine Lebensaufgabe erfüllt habe.
Nun, er hat eine große Aufgabe, eine hehre Mission erfüllt,
bevor er uns für immer verlassen hat. Die Entwicklung de$
Musiklebens in Wien, die Geschichte des Blindenwesexis, beide
müssen sie seinem außerordentlichen Wirken ein goldenes Ruh
mesblatt widmen.
Professor Josef Labor wurde am 29. Juni 1842 in Horo-
witz in Böhmen als Sohn eines gräflichen Gutsbeamten ge
boren. Im 'zarten Kindesalter verlor er seinen Vater und bald
darauf erblindete er; die treffliche Mutter, Tochter eines Arztes,
ließ sich aber durch’ diese Unglücksschläge nicht beugen, son
dern erzog den Knaben nach jeder Richtung hin zielbewußt.
Sie übersiedelte nach Wien, wo der Junge in das kais. Blin
den-Institut eintrat. Der damalige Direktor Foleuthner hatte eben
die bedeutendstem Professoren des Konservatoriums an seiner
Anstalt als Lehrer angestellt. So wurde Labor. Schüler des be
rühmten Musiktheoretikers Simon Sechter und als er in das*
Konservatorium eintrat, ein Lieblingsschüler Professor Pirkherz
in Klavier. Gleichzeitig höhte er Vorlesungen bei Eduard Hans-
lik an der Universität. Seine ebenfalls künstlerisch hochbegabte
ältere Schwester Josefine leistete ihm durch Vorspiel der Kla
vieraufgaben und Schreiben der theoretischen Beispiele un
schätzbare Hilfe; wie denn überhaupt das denkbar innigste
Zusammenhalten der beiden Geschwister bis zum Tode um
fing. (Labor blieb unverheiratet. Als der Bildhauer Werner David
in Hannover um die Hand Josefinens anhielt, wurde an das
Jawort die Bedingung geknüpft, daß sie ihrem Bruder dadurch
nicht entzogen werden dürfe. Labor ist denn auch immer in
der Familie seiner Schwester geblieben und halt in deren für
sorglicher Pflege jetzt, ein halbes Jahr nach dem Tode seiner
Schwester, sein Leben beschlossen.)
Nach seinem ersten großen Erfolg als Pianist im März
1863 in Wien trat er, von Mutter und Schwester begleitet,
große Kunstreisen an, die ihn schließlich nach Hannover führ
ten. Der blinde König Georg, ein sehr kunstsinniger Monarch,
machte ihn zum Lehrer seiner Töchter und ernannte ihn zum
Kammer-Virtuosen. In England, wo Labor von Hannover aus
öfter konzertierte, knüpfte er verheißungsvolle künstlerische Ver
bindungen an, allein der unglückliche Ausgang des Kriegen
1866, wobei König Georg seinen Thron verlor, änderte alles.
Die Hofhaltung wurde nach Gmunden in Oberösterreich ver
legt. Labor, der dorthin folgte, musizierte daselbst mit den be
deutendsten Künstlern wie Josef Joachim und J. Brahms. Sein
Repertoir war ein schier unglaubliches und vergrößerte sich
stetig, ohne daß das früher Studierte steinern Gedächtnis entglitt.
Mit Weglassung der später hinzu kommenden Orgelliteratur