Volltext: Jahrhundertfeier der Privat-Blindenlehranstalt in Linz 1824 - 1924. (11. Jahrgang. 5./9. Nummer)

Seite 78 Zeitschrift für das österr. Blindenwesen. 5./9. Nummer 
tages des Näheren erörtert worden. Wir 'betrauern in seinem 
Heimgang den Verlust eines Auserwählten, Gottesbegnadeten. 
Zu seiner im eftabendsten Sinne frommen Anschauung gehörte 
auch die Ueberzeügung, daß kein Mensch früher von Sinnen 
gerufen wird, ehe' er nicht seine Lebensaufgabe erfüllt habe. 
Nun, er hat eine große Aufgabe, eine hehre Mission erfüllt, 
bevor er uns für immer verlassen hat. Die Entwicklung de$ 
Musiklebens in Wien, die Geschichte des Blindenwesexis, beide 
müssen sie seinem außerordentlichen Wirken ein goldenes Ruh 
mesblatt widmen. 
Professor Josef Labor wurde am 29. Juni 1842 in Horo- 
witz in Böhmen als Sohn eines gräflichen Gutsbeamten ge 
boren. Im 'zarten Kindesalter verlor er seinen Vater und bald 
darauf erblindete er; die treffliche Mutter, Tochter eines Arztes, 
ließ sich aber durch’ diese Unglücksschläge nicht beugen, son 
dern erzog den Knaben nach jeder Richtung hin zielbewußt. 
Sie übersiedelte nach Wien, wo der Junge in das kais. Blin 
den-Institut eintrat. Der damalige Direktor Foleuthner hatte eben 
die bedeutendstem Professoren des Konservatoriums an seiner 
Anstalt als Lehrer angestellt. So wurde Labor. Schüler des be 
rühmten Musiktheoretikers Simon Sechter und als er in das* 
Konservatorium eintrat, ein Lieblingsschüler Professor Pirkherz 
in Klavier. Gleichzeitig höhte er Vorlesungen bei Eduard Hans- 
lik an der Universität. Seine ebenfalls künstlerisch hochbegabte 
ältere Schwester Josefine leistete ihm durch Vorspiel der Kla 
vieraufgaben und Schreiben der theoretischen Beispiele un 
schätzbare Hilfe; wie denn überhaupt das denkbar innigste 
Zusammenhalten der beiden Geschwister bis zum Tode um 
fing. (Labor blieb unverheiratet. Als der Bildhauer Werner David 
in Hannover um die Hand Josefinens anhielt, wurde an das 
Jawort die Bedingung geknüpft, daß sie ihrem Bruder dadurch 
nicht entzogen werden dürfe. Labor ist denn auch immer in 
der Familie seiner Schwester geblieben und halt in deren für 
sorglicher Pflege jetzt, ein halbes Jahr nach dem Tode seiner 
Schwester, sein Leben beschlossen.) 
Nach seinem ersten großen Erfolg als Pianist im März 
1863 in Wien trat er, von Mutter und Schwester begleitet, 
große Kunstreisen an, die ihn schließlich nach Hannover führ 
ten. Der blinde König Georg, ein sehr kunstsinniger Monarch, 
machte ihn zum Lehrer seiner Töchter und ernannte ihn zum 
Kammer-Virtuosen. In England, wo Labor von Hannover aus 
öfter konzertierte, knüpfte er verheißungsvolle künstlerische Ver 
bindungen an, allein der unglückliche Ausgang des Kriegen 
1866, wobei König Georg seinen Thron verlor, änderte alles. 
Die Hofhaltung wurde nach Gmunden in Oberösterreich ver 
legt. Labor, der dorthin folgte, musizierte daselbst mit den be 
deutendsten Künstlern wie Josef Joachim und J. Brahms. Sein 
Repertoir war ein schier unglaubliches und vergrößerte sich 
stetig, ohne daß das früher Studierte steinern Gedächtnis entglitt. 
Mit Weglassung der später hinzu kommenden Orgelliteratur
	        
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