Volltext: Jahrhundertfeier der Privat-Blindenlehranstalt in Linz 1824 - 1924. (11. Jahrgang. 5./9. Nummer)

5./9. Nummer 
Zeitschrift für das österr. Blindenwesen. 
Seite 77 
erst im Mannesalter mit seinem Opus. 1 in die Oeffentlichkeit 
trat, er entfaltete in seinen letzten zehn Lebensjahren eine 
kompositorische Tätigkeit, die an das Unbegreifliche grenzt. 
Vom Kinderlied bis zum großen Chorwerk mit Orchesterbeglei 
tung hat er Herrliches und Originelles geschaffen. Dabei war er 
der schrankenlosen Extase stets abhold: „Lyrische Wallungen 
hat ein jeder; der Künstler aber muß beweisen, daß er auch 
ein Könner Ts't.“ Und er war ein Könner! In der Beherrschung 
des Kontrapunktes und der musikalischen Formen “findet man 
nicht viele seinesgleichen. 
Er wollte aber durchaus kein einseitiger Musiker sein; es 
trieb ihn nach vielseitiger Geistesbildung. Sinn für jede große 
Erscheinung in der Weltliteratur, Begabung für fremde Spra 
chen, lebhaftes Interesse an allen Forschungen in der Natur 
wissenschaft machten seine Oriehtiertheit auf allen Gebieten 
zu einer geradezu universellen. 
Es erübrigt sich fast, nach dem bisher Gesagten, noch von 
dem dritten Pfeiler seines Wesens, von seinem Fleiß, zu spre 
chen. Aber es soll hier doch auf die Gründlichkeit seiner Art 
zu arbeiten, hingewiesen werden. Er wollte sich nie bloß auf 
sein treffliches Gedächtnis verlassen. Schon in seiner Studien 
zeit machte er sich von allem Gehörten und Erlernten Notizen 
und erfand sich, da damals noch keine Notenschrift für Blinde 
bestand, eine eigene, die er zum Darstellen wertvoller musi 
kalischer Einfälle gebrauchte. Später mit der Punktschrift ver 
traut, verschaffte er sich eine für die Verhältnisse eines Pri- 
vatbestizes außerodentlich umfangreiche Bibliothek, die ihm 
seinen fanatischen Hang zur Gründlichkeit befriedigen ließ, in 
dem er immer wieder die meist handschriftlichen Kopien seines 
übergroßen Repertoirs nachlesen konnte. Seine Kompositionen ar 
beitete er stets erst im Geiste fast vollständig .aus und brachte 
sie dann in Punktschrift 'zu Papier, hernach erst diktierte er 
sie seinem freundlichen Helfer in die Feder. Bis. nach Mitter 
nacht saß er täglich an seinem Schreibtische. 
Der Drang nach Vollkommenheit war die treibende Macht 
seines Wesens, fern von dem leisesten Schein einer Eitelkeit, 
wollte er nie nur als „blinder“ Künstler gewertet sein, sondern 
forderte von sich und von jedem Wirkenden, daß seine Lei 
stungen nicht bloß einen relativen Erfolg, sondern einen ab 
soluten Wert haben sollten. Darum verstand er, der sonst milde 
und gütig Nachsichtsvolle, sich in künstlerischen Angelegen 
heiten auch nicht zur kleinsten Konzession. Gediegenheit, auf 
welchem Gebiete immer, fand seinen freudigen Beifall, mochte 
es sich dabei um geistige oder manuelle Arbeit handeln. Er 
schätzte sie hoch ein. 
Er war seinen Schülern ein gütiger Freund, und stets gerne 
bereit, nicht bloß ihnen, sondern jedem Rat- und Hilfebedürftigen 
mit allem, was er besaß und wußte 1 , beizustehen. Was er durch 
sein Beispiel und seine Persönlichkeit für seine blinden Schick 
salsgenossen bedeutet, ist schon anläßlich seines BO. Geburls-
	        
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