Volltext: Der Spaßvogel 1917 (1917)

„Dann erzähle uns wenigstens den 
Augenblick, wo du nach deiner Ansicht die 
größte Gewaändtheit besitzen mußtest. 
Diese Aufforderung konnte Fritz Müller 
natürlich ebensowenig in Verlegenheit hrin— 
gen, der in seiner steten Bereitwilligkeit zu 
erzählen begann. 
Ich glaube daran, daß einer, der die 
richtige Geistesgegenwart besitzt, auch stets 
das einzig Richtige kut. Das will ich wohl 
am mieisten durch meine Geschichte beweisen, 
da ihr dann selbst kontrollieren könnt, ob 
alles auch wahr ist. Vor ein paar Jahren 
war es gewesen, als ich einen Spaziergang 
in die Billenkolonie hinaus gemacht hatte. 
Ich war dabei ganz bei den letzten Ausläu— 
fern der Stadt an einen alten, herrlichen 
Baumgarten gekommen, in dem ein Mädchen 
mit wirklich golden schimmernden Haaren por 
ein paar Rosenstöcken pen Mir selbst war 
es in diesem Augenblick schwer, zu entschei— 
den, ob das Mädchen oder die Rosen schöner 
hlühten; jedenfalls hatte ich in dieser Se— 
kunde die Sinnsndung als könnte ich nie 
mehr einem solchen Wesen begegnen, das 
einen ähnlich starken Eindruck auf mich hin— 
lerlassen könnte. Dabei hatte sich begreif; 
sicherweise auch das Verlangen geregt, mit 
dieser menschlichen Blume ein wenig zu plau— 
dern, Mit diesem Wunsch hatte ich auch schon 
die Möoͤglichkeit erkannt, denn an einer Ta— 
fel im Garten war zu lesen gewesen, daß die 
Villa zu verkaufen sei. 
Bequemer konnte es mir also nicht ge⸗ 
macht werden, wobei ich, aber, nicht erst zu 
versichern brauche, daß ich die Villa nicht 
einmal dann hätte erwerben können, wenn 
sich den Kaufpreis statt in gangbaren Mark—⸗ 
slücken in Hosenknöpfen hätte auszahlen dürfen. 
Ich trat in den Garten ein. Und, dann 
spielte ich die Rolle eines Käufers; aber so 
zut, daß ich nicht, alles ohne Kritik bewun— 
derte, sondern diese und jene Bedenken ein— 
streute. Dies tat ich um —— 
da die junge Dame im Goldhaar eine glok—⸗ 
kenhelle Stimme hatte, ein munteres Lachen 
und weiße, leuchtende Zähne besaß. Sie 
wollte doch alle meine Bedenken zerstreuen. 
Ich konnte nur eines bedauern, daß diese Füh— 
rung wie alle schönen irdischen Dinge ein— 
mal ein Ende nehmen werde. 
Während sie mich in das Innere der 
Villa hineinführte, mußte ich erfahren, daß 
diese 7. ihren Papa und für sie zu einsam 
sei. Ich ließ mich dabei zu einer Bemer— 
kung hinreißen, die wirklich nicht, überlegt ge— 
wesen war, die ich eben gemacht hatte, weil 
nach meiner Ansicht das Abenteuer ja doch 
hald zu Ende sein mußte. Ich erklärte nämlich, 
nir sei die Einsamkeit allein schon deshalb 
rwünscht, da ich Sänger sei und zu vielen 
proben gezwungen wäre. Da führte sie mich 
n den großen Wusiksalon, in dem ein wirk— 
iich herrlicher Flügel stand. Und mit, der 
gleichen Liebenswürdigkeit, mit der sie hisher 
eine Führerin gewesen war, stellte sie an 
nich die Aufforderung, doch den Flügel zu 
probieren und vielleicht ein Lied zu versuchen, 
um mich von der Alkustik des Raumes zu 
überzeugen. — 
Nun bin ich aber in Wirklichkeit der 
unmusikalischste Mensch, dessen Stimmorgan 
eher zu einem brummenden Knurren denn 
züm Sinausschmettern einer Arie geeignet 
väre; ich ghne wohl die Gebrauchsanwen⸗ 
dung der Klaviatur des Flügels, aber dar⸗ 
süber geht meine Weisheit nicht hinaus. 
Ich will, gleich bemerken, daß ich diese 
Lage noch keineswegs als gefährlich bezeich⸗ 
nen möchte; ein jeder hätte wohl den gleichen 
Ausweg gefunden. 
„Ich würde es sehr gern tun“, war 
meine Entgegnung, „aber ich muß meine 
Stimme schoönen, denn ich habe im Kehlkopf 
ein lästiges Brennen, das der Stimme leicht 
gefährlich werden kann.“ 
„O, wie schade. Ich höre doch sp gern 
singen. Abher nun kommt Papa selbst. Von 
diesem werden Sie dann mehr hören.“ 
Der Papa war eine sehr würdevolle Per⸗ 
son, mit weißem Haar, buschigen Brauen und 
dunklen, unruhigen Blicken. 
Ich wurde vorgestellt. 
„Dieser Herr möchte die Villa kaufen, 
Papäa. Er, ist ein Sänger und Zliebt gerade 
die Einsamkeit; leider verhindert ihn ein Kehl—⸗ 
kopfleiden, die Akustik des Musikzimmers zu 
exproben und uns gleichzeitig durch ein Lied 
zu unterhalten “·— 
Der Alte hob die Augen hoch. 
z.Ein Kehlkopfleiden? Das ist meine Spe— 
lit Bin nämlich Arzt. Lassen Sie mal 
sehen!“. 
Daß in meinem Kehlkopf überhaupt 
nichts zu sehen war, das brauchte ich mir 
nicht etst zu bestätigen lassgsn. 
Ahber Herr Professor, das kann ich wirk— 
lich nicht verlangen“ 75 
8 weiß! Natürlich! Wer behandelt 
Sie?“ 
.Ich hatte keine Ahnung, welcher Name 
mich aus diesem Dilemma retten würde, des—⸗ 
halb konnte es nur die Möglichkeit geben, einen 
zu erfinden. — 
„Doktor Westphal.“ 
in Spezialist für Halskrankheiten?“ 
forschte der Unersättliche weiter, dessen Augen 
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