Volltext: Der Spaßvogel 1916 (12. 1916)

sich seiner erbarmte und ihn unter ihre 
Fittiche nahm. Nun kam erst das Fürchter¬ 
lichste. Anscheinend um ihn aufzuheitern 
und zu Beleben, hielt die eingetrocknete 
Philvsophin ihm mit wahrhaft ciceroni- 
scher Beredtsamkeit einen hochgelehrten 
Vortrag über Kants „Kritik der reinen 
Vernunft." deren tiefer Sinn ihm dunkel 
blieb wie ägyptische Finsternis war. 
Schon trug der Aermste sich mit der 
festen Absicht, sich am nächstbesten Baum¬ 
ast aufzuhängen und nur seine sterblichen 
Ueberreste den Krallen der drei Harpyien 
zu überlassen, — da nahte sich mitten in 
feiner tiefsten Verzweiflung die Erlösung 
in Gestalt der hochzeitsreisenden Turtel- 
taubenpärchen, die sich ihnen angeschlossen 
und gemeinsam mit ihnen den Abstieg nach 
Königswinler unternahmen. Nun war seine 
\ allzu liebenswürdige Begleitung wenig- 
' stens einigermaßen von ihm abgelenkt. 
| Mehr war aber nicht gewonnen; denn 
; jeden leisesten Versuch des Unglücklichen, 
i auf Nimmerwiedersehen auszukneifen, wuß- 
, ten sie geschickt zu verhindern. 
So kam es, daß die kleine Gesellschaft 
bis in die späte Nacht im ».Berliner Hof" 
zu Königswinter in animiertester Stim¬ 
mung, die bei ihm allerdings nur ein trau¬ 
riger Auswuchs von Galgenhumor war, 
beisammen blieb. Er suchte sein herbes 
Schicksal beim feurigen Drachenhlut zu oer- 
gesfen, was ihm zu feinem eigenen Schaden 
so gut gelang, daß er schließlich überhaupt 
nicht mehr wußte, was um ihn herum und 
mit ihm selbst vorging. — 
Am folgenden Morgen fuhr er, die Perle 
strengster Solidität, mit gräulichem Katzen¬ 
jammer aus den Federn und schaute wirr um 
sich. Hatte er das Furchtbare nur geträumt? 
Nein, Wahrheit war's, grauenhafte 
Wahrheit! — Er war verlobt!!! 
Mit wem? Wenn er das nur selbst ge¬ 
wußt hätte! — Mit dem überspannten Nerven¬ 
bündel oder mit der stoppelbärtigen 3urm ? 
Oder gar — schrecklicher Gedanke! mit allen 
Dreien? 
Er vermochte nicht sich auf näheres zu 
besinnen. Nur das Faktum selbst stand unver¬ 
rückbar fest in feiner Seele, als der Pol, den 
seine umnebelten Sinne in toller Hetzjagd um¬ 
kreisten. Und in dieses Chaos fiel plötzlich 
eine bittere Erkenntnis: Er liebte Eustchen 
Müller!! Nun erst ward er sich dessen klar 
bewußt. Und nun wäre er mit tausend Freuden 
bereit gewesen, um ihretwillen sich sein Leben 
lang mit Hausmannskost zu begnügen. 
„Siegst, jetzat is der Sepp a tot; schad', 
den hab' i immer gern aussig'schmissa!" 
gerisch. Was die drei einmal gepackt hatten, 
hielten sie fest mit zähester Energie. Zu Wort 
ließen sie ihn überhaupt nicht kommen. 
Sylvia, die hingebendd an seinem Arm 
hing, und mit ihren kugelrunden Mopsaugen 
beängstigend sehnsüchtig zu ihm emporschmach¬ 
tete, ließ ihre zarte Seelenharfe vor ihm tönen, 
indem sie ihm ihre überschwänglich poesievvllen 
Empfindungen offenbarte, bis dem unglücklichen 
Zuhörer die Ohren zu sausen begannen. AIs 
es ihm nach mehreren vergeblichen Versuchen 
endlich gelungen war, seinen Arm zu befreien, 
rettete er sich blitzschnell an die Seite der 
zitronengelben Juno, die ihrem robusten 
Aeußern nach zu urteilen wenigstens keine ver¬ 
stimmten Nerven besaß. 
Er hatte sich nicht getäuscht. Nerven be¬ 
saß Fräulein Elvira tatsächlich nicht; dafür aber 
ein nimmermüdes Mundwerk, dessen unheim¬ 
liche Leistungsfähigkeit sie dazu benutzte, dem 
atmen Glückssucher ihre vielseitige Tätigkeit 
im Dienst der schönen Künste verständlich zu 
machen. 
Peter Grasberger war bereits wie ge¬ 
rädert und gevierteilt, als Fräulein Amalie
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.