Volltext: VIII. Jahresbericht des Mädchen-Lyceums in Linz 1897 (8. 1897)

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mit ernsten Gefahren für die physische Beschaffenheit und den natürlichen Beruf des 
lVeibes verbunden und geschähe auch nicht ohne schwere Benachteiligung des Mannes, 
dessen Erwerbsfähigkeit im Kampfe der Loncurrenz leicht auf eiu Maß herabsinken 
könnte, welches die Bildung und Erhaltung einer Familie erschwert oder ausschließt. 
Aber nach den: Stande unserer Verhältnisse entspräche auch eiu solches Entgegenkommen 
nicht einen: allgemeineren Bedürfnisse breiter Volksschichten, wodurch allein der daraus 
sich ergebeude Aufwand öffentlicher Mittel zu rechtferigen wäre. 
wenn aber einzelne Mädchen aus eigenen: Antriebe durch Privatunterricht oder 
an Privatgymnasien die den Jünglingen vorgezeichnete Stufe der geistigen Reife erreicht 
haben, so wäre es uubillig, sie an der Ablegung einer öffentlichen Reifeprüfung zu 
hindern und ihnen, wenn sie dieselbe mit Erfolg bestanden haben, die mit einer solchen 
Prüfung gesetzlich verbundenen Begünstigungen nicht wenigstens theilweise zuzugestehen. 
Noch unbilliger wäre es, wenn mit solche,: vollwertigen Reifezeugnissen ausgerüstete Mädchen 
in: Auslande, wo ihnen das bisher allein gestattet war, ihre Universitätsstudien vollendet 
und rite ein Doctordiplom erworben haben, diesen: in ihren: Heimatslande die Giltigkeit 
völlig zu versagen und sie so um allen Lohn ihrer Mühen zu bringen. 
Aus solchen Erwägungen wurden mehrere Verordnungen zu Gunsten staats- 
angehöriger Mädchen erlassen, von denen die vom 9« März ^896, Z. j(966 M.-V.-Bl. 
Nr. \8, die Bedingungen festsetzt, unter welchen dieselben an einem oder mehreren 
Gymnasien jedes Landes ein Reifezeugnis erwerben können; die von: \9- März ^896, 
Z. 6559 M.-V.-Bl. Nr. 20, die Nostrification ihrer an einer medidnischen Facultät 
des Auslandes auf Grund giltiger inländischer Reifezeugnisse rite erworbenen Diplome 
ermöglicht; die vom 23. März ^89?, Z. 7J55, denselben als ordentlichen oder außer- 
ordentlichen Hörerinnen den Zugang zu den philosophischen Facultäten eröffuet. 
Die bezeichneten Vorkehrungen beziehen sich aber nur auf einen kleinen Kreis, 
welcher durch Gründung öffentlicher Gymnasien künstlich zu erweitern nicht ii: den Ab- 
sichten der Unterrichtsverwaltung liegt. Das mag privaten Bestrebungen überlassen 
bleiben, deren Erfahrungen und Erfolge sie mit Aufmerksamkeit begleiten wird. 
Die nächste Sorge gilt einer tatsächlichen, unverkennbaren Nothlage, an welcher 
weite Kreise der Bevölkerung, namentlich unserer Mittelstände, leiden uud welche diese 
selbst kaum theilweise ohne empfindliche materielle Gpfer zu bekämpfen vermögen. 
Der öffentliche Unterricht der weiblichen Jugend beschränkt sich bisher wesentlich 
auf die Vermittlung jener Kenntnisse, welche die allgemeine Volks- und Bürgerschule 
zu gewähren imstande ist, und ist mit dem j(^. Lebensjahre abgeschlossen; der höhere 
Mädchenunterricht wird fast ausnahmslos von Privatlehranstalten besorgt, auf deren 
Organisation die Unterrichtsverwaltung nur einen geringen, auf deren Kostspieligkeit 
sie keinen Einfluss zu üben in der Lage ist, denn viele derselben müssen sich Haupt- 
sächlich durch die Schulgelder erhalten und solle:: ihren: Unternehmer Ertrag gewähren, 
daher sie nur dem wohlhabenderen Theile der Bevölkerung zugänglich sind. Es ist aber' 
ohne Zweifel ein hohes öffentliches Interesse, einer größereu Zahl minderbemittelter 
Mädchen eine über das Maß der Volks- uud Bürgerschule hinausgehende Höhere- 
Bildung zugänglich zu inachen, welche dieselben in ihren künftigen von der Natur vor- 
gezeichneten Aufgaben als Verwalterinnen des Dauses und Erzieherinnen ihrer Kinder 
fördert und, wenn sie unvermählt für ihr Fortkommeu zu sorgeu haben, ihnen eine 
entsprechende Vorbereitung für eiueu lohnenden Beruf zu bieten vermag. Unterrichts- 
gegenstände wie Rechuen, Naturlehre, Zeichuen, weibliche Landarbeiten werden ihren 
praktischen Sinn wecken, Geographie uud Geschichte, Sprache::, Gesang werden ihren 
Geist mit einen: wertvollen intellectnellen Inhalt erfüllen, der auf der festen Grund- 
läge sittlich-religiöser Bildung das Familienleben veredelt und auf die häusliche Er- 
ziehung der Kinder den wohlthätigsten Einfluss üben wird. Die Wahl der Unterrichts¬
	        
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