Volltext: Der Naturarzt 1900 (1900)

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Ernàahrung. 
Kräftige Kost. 
Von Dr. W. Bohn, Rinderarzt. 
Pse hat eine Zeit gegeben, wo der Glaube, nur die -ᷣleischernührung Sei 
im stande, schwächlichen d. h. blassen, magerén, blutarmen Kindern Rraft, d. h. 
Fleisch- und PFeéttansatz' und rote blühende Backen zu schaffen, ein so all- 
gemeéeiner war, dass selbst Kinderärzte der Ernährung mit Fleisch, besonders 
rohem Rindfleisch das Wort redeten, Noch im Jahre 1888 schrieb der Wiener 
Padiater Hüttenbrenner, man solle Kindern, die rhachitisch zu werden beginnen. 
schon neben der Mutterbrust „gut gesalzene Rindsbrühe“ geben, wie überhaupt 
die gut gesalzene Rinds- und Kalbsbrühe bei diesem Autor und manchen anderen 
Aerzten in der Behandlung kindlicher Ernährungsstörungen schon vom dritten 
Monat an eine grosse Rolle spielt. Auch Beefsteak und rohes Rindfleisch werden 
empfohlen. IJ 
In jüngster Zeit nun hat Dr. Gucciardello aus Neapel in kKlinischen Be— 
obachtungen an Kindern von 15-20 Monaten den Nachweis geführt, dass bei 
fast allen Kindern diè Fleischnahrung schlecht vertragen werde, dass sogleich 
òhder nach wenigen Tagen schwere Verdauungsstörungen einsetzen, Obstipation 
und Diarrhoe, und dass Fleischfasern fast unverdaut im Kote nachweisbar 
seien. So Kommt Dr. Gucciardello zu dem Schluss, dass auch bei gesunden 
Kindern vor dem fünfzehnten Monate Fleisch unbedingt nicht verabreicht 
werden dürfe. 
Aber weist nicht die Natur selbst Klar und deutlich darauf hin, dass 
Fleisch für das Kind kKeine kräftige, sondern verderbliche unnatürliche Kost 
sei? Unser Geruch müsste es uns lehren, wenn wir die Windel eines Brust- 
kindes mit der eines mit Fleisech und Brühe gemarterten Babys vergléichen! 
Hat nicht jedes Kind éinen lebhaften Abscheu vor Fleisch und PFleischbrühe, 
so lange es noch nicht zu deren Genusse gezwungen ist—?; 
WMenn es nun eine schon längst in der Kinderheilkunde angenommene 
Wabhrheit ist, dass mehr Kinder im Säuglingsalter der Deberfütterung als dem 
Mangel an Nahrung zum Opfer fallen, dass es bei der Ernährung der Kinder 
so sehr darauf ankommt, dem Magendarmtraktus nicht mehr und nicht öfter 
Arbeit aufzuzwingen, als er leisten kKann und will, so beginnt neuerdings auch 
die noch so verbreitete Lehre von der „kräftigen Kostt im späteren Rindes- 
alter gewaltige Erschütterungen zu erleidoen. 
Professor Czerny, der durch seine bahnbrechenden Arbeiten über dauglings- 
ernährung bekannte Rinderarzt der Breslauer Universität, hat in einem Artikel 
„Kräftige Kost im „Jahrbueh für Kinderheilkunde“ (Januar 1900) die alt- 
gewohnten Anschauungen geprüft und beleuchtette. 
Schon der Begriff und die Anwendung der kräftigen Kost weist grosse 
Unklarheit auf. „Wenn vir, sagt Prof. Ozerny, uns also vergegenwartigen, 
was die kräftige Kost bei Kindern alles leisten soll, neue Immunitäten (rank- 
heits-Schutzmittel), Regeneration (Wiederherstellung) verlorengegangener Körper- 
gewebe und Immubitäten, Wachsstum, Mästung, Hebunüg des Kraftezustandes u. s. W.- 
to müsssten wir erwarten, dass diese wichtige Frage vereits vielfach studiert 
wurde und dass die Kräftige Kost eine gut begrũündete therapeutische Mass- 
regel bildet. Dass diese Voraussetzung nicht zutrifft, ergiebt sich, sobald wir 
feststelloen, welche Nahrungsmittel die sogen. kräftige Kost ausmachen, Es 
sind. dies Milch, Eier und Fleisch.“ Nun beruhbt aber die Verwendung dieser 
Nahrungsmittel auf den alten Liebigschen Theorien, deren Unhaltbarkeit längst 
festgestellt itg. 
Aber auch die praktischen Erfahrungen, die mit der kräftigen Kost ge- 
macht werden, sind nicht so glänzende, dass dieselben trotz doer theoretisChen 
Unhaltbarkeit zur Fortsetzung des alten Schlendrians aufforderten. Vor allem 
tritt Verstopfung als Folge einer übertriebenen BRiweissernährung auf, die selbst
	        
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