Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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Heilungen selten.- Aber dass sie Vorkommen ist ein Beweis, dass die Natur 
heilkraft auch die Syphilis zu heilen vermag. Deshalb ist die naturgemässe 
Behandlung auch theoretisch angezeigt. 
Aber nicht nur durch Fieber, sondern auch durch den „Zahn der Zeit u 
d. h. durch die Länge der Syphilisdauer kommen oft Selbstheilungen zu 
stände. Diese mögen so entstehen, dass der Organismus das syphilitische 
Gift immer mehr und mehr entgiftet, eine Erscheinung, welche man bei der 
angeborenen Syphilis und bei Fällen, welche lange Zeit durch ausscheidende 
Packungen behandelt wurden, beobachtet. Andererseits werden auch die 
Körperzellen mit der Zeit widerstandsfähiger (immun) gegen das syphilitische 
Gift, so dass die sich neubildenden Körperzellen, sofern sie mit einer 
gewissen Beizstärke begabt sind, auch dem Syphilisgift mehr Widerstand 
leisten. 
Anders liegt aber die Sache, wenn man voller Glauben an die Allmacht 
der Naturheilkraft in die Praxis tritt und nun mit den Mitteln der Natur 
heilkunde die Selbstkräfte des Organismus unterstützen will. Da erleidet 
man mit den jetzigen Mitteln der Naturheilkunde ziemlich oft Fiasko. 
Dies gilt besonders für frische, noch nicht mit Quecksilber 
behandelte Fälle. Denn während wir mit Quecksilber ungeheilt ge 
bliebene Kranke spielend heilen, entstehen oft trotz sorgfältigster natur- 
gemässer Behandlung solcher Kranker, die noch kein Quecksilber im Leibe 
haben, die schwersten Haut-, Mund-, Ohren-, Gehirn- und Begenbogenhaut- 
entzündungen, welche schliesslich das Leben des Kranken gefährden oder 
wichtige Organe, z. B. das Auge zerstören. Wenn wir nun selten von diesen 
Misserfolgen lesen, so hat das darin seinen Grund, weil zu uns meist mit 
Quecksilber durchseuchte Kranke kommen oder aber, wenn sie sogleich 
kommen, nicht lange genug in der Kur bleiben und sich medizinisch be 
handeln lassen. 
Becht schlechte Erfahrungen mit solchen reinen Syphilisfällen macht 
man bei Trinkern, Korpulenten und Skrofulösen. Andererseits aber be 
obachten wir wieder, wie das Quecksilber auch die Syphilis nicht heilt, ja 
wie gerade nach Schmierkuren oft noch nach Jahrzehnten Gehirnerweichung, 
Gehirngefässentartung, Bückenmarkschwindsucht und was ziemlich häufig 
vorkommt, Sehnervenatrophie und Blindheit entsteht. Die meisten Mediziner 
neigen allerdings der Ansicht zu, dass die vorgenannten Zerstörungen des 
Nervensystems nicht die Folge des Quecksilbers, sondern die Folge der 
nicht geheilten, schlummernden Syphilis sind. Wenn das so ist, so ist doch 
der Beweis erbracht, dass auch das Quecksilber die Syphilis nicht sicher zu 
heilen imstande ist und zwar auch dann nicht, wenn der Kranke zeitlebens 
fortgesetzt von Zeit zu Zeit eine Schmierkur macht, wie es allen Ernstes 
einige Aerzte vorgeschlagen haben. 
In neuerer Zeit neigen nun allerdings ganz berühmte Professoren der 
Augenheilkunde zu der Ansicht, dass das Quecksilber es ist, welches die 
schweren, meist zur Erblindung führenden Sehnervenentzündungen hervor 
ruft. Ich habe selbst kürzlich zwei Fälle behandelt, wo 10 resp. 12 Jahre 
nach der Schmierkur Sehnervenatrophie und in einem driften Falle Gehirn- 
sclerose auftrat. Das Quecksilber heilt die Syphilis nicht immer, sondern 
unterdrückt nur auf gewisse Zeit die syphilitischen «Erscheinungen wie Haut 
ausschläge, Bachengeschwüre etc. Der beste Beweis dass dem so ist, liefern 
jene Fälle, welche trotz überreichlicher Quecksilbereinverleibung schliesslich 
in unsere Behandlung kommen. 
Wäre das Quecksilber ein gleichgiltiges Mittel, so wäre es ein müssiger 
Streit, bloss des Prinzipes wegen gegen dasselbe anzukämpfen. Das 
Quecksilber hingegen ist ein höchst gefährliches Gift, es geht nämlich mit 
dem Blut-, Nerven- und Gewebseiweiss schwer lösliche Verbindungen ein 
und bringt dadurch nach und nach gewisse Nervenzellen zum Absterben. 
Und gerade dadurch, dass das Quecksilber selbst nach Jahrzehnten im 
Körper verbleibt und nur teilweise ausgeschieden wird, wirkt es als ein
	        
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