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Dampfbäder? Nein, Luftbäder!
E. Köhler - Königsberg Pr.
Prof. W. Winternitz, gewiss einer der energischsten Bekämpfer
der Laienpraktiker, muss zugeben, dass die gesamte Technik der
Hydrotherapie (Wasserheilverfahren) fast nur von „Laien“ geschaffen
wurde, dass denselben auch gar manche wichtige Erfahrung zu ver
danken ist. Wenn wir Naturärzte allerdings nur in bescheidener
Weise beim theoretischen Ausbau der Naturheilmethode mitwirken
können, denn dies kann in wirklich hervorragender Weise nur in
Kliniken, ausgestattet mit einem vorzüglichen Instrumentarium und
chemischem Laboratorium geschehen, so sind wir doch immer bereit,
die Anwendungsformen den jeweiligen Verhältnissen und Krankheits
zuständen anzupassen und in dieser Richtung unsere Erfahrungen
und Beobachtungen der Gesamtheit zur Verfügung zu stellen.
Die Naturheilmethode ist noch viel zu jung, als dass wir des
Glaubens sein dürften, wir hätten schon das A und 0 derselben er
kannt. Nein, wir stehen noch mitten in der Bewegung, und wenn
wir auch fest überzeugt sind, dass das Fundament fest und un
verrückbar gelegt ist, der Ausbau ist noch lange nicht vollendet.
Um möglichst bald zur Klarheit zu kommen, ist es in erster
Linie notwendig, alte eingewurzelte Irrtümer zu beseitigen, denn diese
hemmen den Fortschritt am meisten. Ein solcher verhängnisvoller
Irrtum hat sich in unserer Bewegung Bürgerrecht erworben, der,
wenn er nicht beseitigt wird, in nicht zu langer Zeit zu einem er
bitterten und doch ganz unnötigen, weil nutzlosen Kampfe führen
dürfte.
Während nämlich beim Beginn unserer Bewegung das Haupt
gewicht auf die Anwendung des kalten Wassers gelegt wurde, traten
späterhin die Dampfbäder in den Vordergrund. Die Kneippsche Be
wegung ist als Reaktion aufzufassen, die wie so oft, auch hier wieder
ins Gegenteil verfällt.
Viel gesundere Anregungen aber gab Rikli, indem er die
Luft- und Sonnenbäder einführte und ihm stimmt in neuester Zeit
Lahmann vollkommen bei, der aber die Luftbäder für noch wichtiger
hält, wie die Sonnenbäder, die jetzt vielfach in mehr oder
weniger gekünstelter Form angewandt werden. Den Luftbädern
scheint allerdings die Zukunft zu gehören; sie sind in unserem heutigen
Zeitalter der Nervosität viel wichtiger als die Sonnenbäder, da sie
erstens von jedermann vertragen werden, was von den Sonnenbädern
nicht gilt, weil sie zweitens zu jeder Zeit genommen werden
können und drittens, weil ihre Ausführung die denkbar einfachste
äst. *) Wenn erst die Luftbäder noch mehr angewandt werden
und noch mehr sorgfältige Beobachtungen und unzweifelhafte
Erfahrungen vorliegen, werden die Luftbäder mehr und mehr An
erkennung erlangen. Dann aber wird der Zeitpunkt eintreten, wo
•der Kampfruf erschallt: „Hie Dampfbäder!“ „Hie Luftbäder!“
Und doch ist die Erregung der Gemüter über diese Frage ganz
unnötig, denn — es giebt gar keine Dampfbäder, und wer
*) Es genügt, im mässig durchwärmten, gutgelüfteten Zimmer morgens und
abends V 4 bis y 2 Std. unbekleidet oder im Nachthemde herum zu gehen bezw. dabei
laichte gymnastische Uebungen auszuführen.