Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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Harnlassen noch nicht in der rechten Weise erfolgte, so gab ich den Eltern 
den Eat, dem Patienten noch eine Woche am Tage auf zwei Stunden 
und nachts, später nur nachts eine 22gradige T-Binde anzulegen, sowie 
die geeigneten Diätvorschriften. Nach 14 Tagen bekam ich von den Eltern 
einen Brief, in dem sie mir dankerfüllt von der fortschreitenden Genesung: 
ihres Sohnes Mitteilung machten. 
Ich möchte aber diesen Heilbericht nicht schliessen, ohne noch eine» 
Vorkommnisses zu erwähnen. An dem ersten fraglichen Nachmittag kam 
der Arzt und fand den Jungen in der Packung. 
Das war für ihn die Veranlassung zu einer sehr strengen Strafpredigt, 
von der der Inhalt etwa folgender war: Was haben Sie da gemacht? Wer 
hat Ihnen das geraten? Wissen Sie auch, dass Sie Ihr Kind hätten töten 
können? Das Kind hätte bei Anlegung der Packung sofort einen Herz 
schlag bekommen können. Der Puls schlägt ja fast nicht mehr. Ihr Kind 
wird sich erkälten und die Lungenentzündung auch noch auf die andere 
Seite bekommen. Und als er gar die Wadenpackungen bemerkte, da fuhr 
er los: Was soll denn aber nun gar dieser Unsinn? Da können Sie doch 
sehen, dass der Mann nichts versteht. Wo hat der eigentlich studiert?' 
u. s. w. 
Der Vater des Kindes hörte sich die Strafrede ruhig an und erwiderte 
dann etwa folgendes: „Herr Doktor, Sie haben mein Kind acht Tage lang,, 
zuweilen täglich zweimal besucht und es ist mit ihm nur schlimmer ge 
worden, und heüte Morgen haben Sie mein Kind sogar aufgegeben. In 
solcher Not sucht ein Vater Hilfe da, wo er sie glaubt finden zu können. 
Woher der Mann seine Weisheit hat, das ist mir ganz gleich; ich bin zu 
frieden, dass ich sehe, dass es meinem Kinde anscheinend besser geht. Ich 
bitte Sie, schicken Sie mir die Eechnung.“ 
Und ich möchte zum' Schluss noch folgendes bemerken: Aus obigen 
Worten des Arztes geht deutlich hervor, dass auch die jungen Doktoren 
der Medizin — denn um einen solchen handelt es sich hier — von der 
Naturheilmethode noch herzlich wenig oder nichts kennen. Statt über die 
Kurpfuscher zu schimpfen, sollte man sich lieber vertraut machen mit dieser 
herrlichen Heilmethode, die auch da noch Erfolge aufzuweisen hat, wo der 
Herr Dr, med. mit seinem Latein zu Ende ist. Dann brauchte man auch 
nach keinem Kurpfuschereiverbot zu rufen; denn die Leute gehen erst dann 
zum „Pfuscher“, wenn durch Medikamente die Kur verpfuscht ist, wie die 
tägliche Erfahrung in tausenden von Fällen beweist. 
Und was den Vater betrifft, so möchte ich denselben vielen sogenannten 
Anhängern der Naturheilmethode als Beispiel hinstellen. Viele nennen sich 
zwar Anhänger der Naturheilmethode, aber der Naturarzt darf nur durch 
die Hinterthür oder zur Nachtzeit zu ihnen kommen, oder sie machen im 
geheimen die Packungen etc. und lassen den Medizinarzt doch noch seine 
Eezepte verschreiben, und der meint dann hinterher, seine Arznei habe 
geholfen. 
Solche Leute aber hemmen das Vorwärtsdringen. Mehr denn je bedarf 
unsere Bewegung Männer, die den Mut haben, offen Farbe zu bekennen. 
Der Kampf ist entbrannt auf der ganzen Linie und wenn nicht alle Zeichen* 
trügen, so wird es bald zu einem Haupttreffen kommen, und dann können] 
wir keine Leute brauchen, von denen es heisst, dass sie: 
Den Mantel drehen nach dem Wind, 
Mit keinem es verderben wollen oder halten, 
Zwar nach dem Neuen, Bessern lüstern sind, 
Doch gern gefahrlos ruhn im Schutz des Alten.
	        
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