Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

Obgleich Priessnitz schon in seiner Jugend mehrere Male die guten 
Wirkungen des kalten Wassers beachtet hatte, so machte ihn doch erst ein 
Unfall, den er erlitt, nämlich ein Rippenbruch, zum Wasserarzt. Ohne sich 
eines Arztes zu bedienen heilte er diesen wie auch eine Lungenentzündung 
durch die Anwendung von kaltem Wasser, und von nun an verkündete er 
laut die wunderbare Heilkraft des Wassers. Glückliche Erfolge bestätigten 
alle seine Versuche. 
Seine Erfahrungen führten ihn nun zu der Theorie, dass die Ursache 
aller Körperkrankheiten materielle Stoffe seien, nach deren Entfernung der 
Körper, welcher sich in einer unaufhörlichen Arbeit befindet, wiederum 
gesundet. Denn dem tierischen Körper wohnt die Kraft inne, sich 
selbst zu heilen, und ausser dieser Kraft giebt es keine Heilmittel. 
Auch das Wasser an sich ist kein Heilmittel; es reinigt, erweicht, laugt aus 
und stärkt. Alles aber, was nicht zur Ernährung des Körpers geeignet ist, darf 
nicht in den Magen gebracht werden. Das gilt vor allem von den Medi 
kamenten. Auch von äusserlichen Einreibungen, von Salben und dergleichen 
ist er ein Feind. Ebenso ist er gegen die Impfung. Die Heilung 
muss der Lebenskraft des Körpers überlassen werden. Diese kann 
man anregen, erhöhen und stärken durch eine zweckmässige Diät, Bewegung 
in freier Luft, durch Umschläge, Schwitzen in Leintüchern und Wolldecken 
und Baden in kaltem Wasser. Diese Mittel reichen vollständig aus, alle 
Medikamente zu ersetzen. 
Ueber die Art und Weise, wie Priessnitz auf das Baden in kaltem 
Wasser, wenn seine Patienten in vollem Schweiss waren, gekommen ist, 
hat ein glaubhafter Badegast aus seinem eigenen Munde folgendes gehört: 
Er begann keineswegs auf einmal mit dem kalten Bade. Schritt vor 
Schritt verfolgte er den Weg, den die Erfahrung ihn führte. Wenn anfangs 
ein Patient in vollem Schweiss und etwas beklommen war, öffnete er das 
Fenster und liess frische Luft herzu. Es bekam den Kranken vortrefflich; 
sie befanden sich wohl dabei. Priessnitz ging weiter. Er versuchte, um 
die während des Schwitzens sich im Kopfe entwickelnde Hitze und die da 
durch entstehende Beängstigung zu mindern, dem Schwitzenden das Gesicht 
mit einem nasskalten Tuch abzuwischen. Die Patienten fühlten wahrhaft 
Erquickung, ohne irgend welche Nachteile zu verspüren. Kann ich das 
Gesicht waschen, warum nicht auch den übrigen Körper, schloss er; deckte 
also den Schwitzenden auf und wusch ihn getrost ab. Er hatte sich nicht 
geirrt und sah die besten Erfolge dieses Verfahrens. So schritt er allmählich 
weiter, bis er endlich dem von Schweiss Triefenden sagen konnte: Jetzt, 
guter Freund, nur unverzagt ins kalte Bad! 
Genaue Beobachtung und die einfachsten Schlüsse führten Priessnitz 
zur Bestimmung der Diät für seine Patienten. Die Erfahrung, die er an 
tausenden von Menschen machte, lehrte ihn, dass selbst ein Uebermass an 
Essen und Trinken besser sei als Hungern. Dadurch stellt er sich in 
vollen Gegensatz zur Schrothschen Heilmethode. Allerdings verwirft er 
alles Gekünstelte in der Ernährung, alles, was den Gaumen kitzelt und den 
Appetit unnatürlich anregt, und erlaubt nur einfache, aus reinen, guten Zu- 
thaten bereitete Gerichte, als Frühstück und Abendbrot z. B. nur Milch, 
Brot und Butter. Daran darf sich nach seiner Ueberzeugung jeder satt 
essen, vorausgesetzt, dass er sonst nicht gar zu naturwidrig lebt. Hungern 
liess er nie; denn von einem ausgehungerten Organismus eine Heilung er 
warten, hiesse, von einem Halbtotgeprügelten verlangen, in diesem Zustande 
wie früher seinen Geschäften zu leben. 
Zum Schluss sei noch erwähnt, dass Priessnitz unvermögende Kranke 
nicht nur ganz unentgeltlich behandelte, sondern vielen gar noch Kost und 
Logis aus ’eigenen Mitteln gewährte.
	        
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