Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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unseren Lesern nicht vorenthalten zu dürfen. Vor ein bis zwei Jahren 
wurde ich zu einem ungefähr siebzigjährigen Herrn gerufen, der 
früher in Polen jahrelang selbst das Naturheilverfahren ausgeübt 
hatte, weil er an entsetzlichen Schmerzen litt, deren Sitz er nicht 
angeben konnte und die ihn nicht schlafen Hessen. Wahrscheinlich 
war in irgend einem inneren Organ ein Krebsleiden vorhanden, denn 
sein ganzes Aeussere zeigte die charakteristischen Zeichen dieses- 
Leidens. Seine Auflösung stand unzweifelhaft in einigen Tagen bevor. 
Ich sagte ihm, dass ich bei einem anderen Kranken unter ähnlichen 
Verhältnissen eine Morphiumeinspritzung machen würde, aber ihm 
wage ich nicht einen derartigen Vorschlag zu machen. Selbst dieser 
nur zart angedeutete Vorschlag erregte im höchsten Grade seinen 
Zorn. Ich musste mich daher damit begnügen, andere Beruhigungs 
mittel unseres Verfahrens zu empfehlen. Nach einer martervoll voll 
brachten Nacht liess er mich jedoch am nächsten Tage rufen und 
bat um eine Morphiumapplikation. Er hatte danach, wie er mir am 
folgenden Morgen mitteilte, eine wundervolle, schmerzlose Nacht ge 
habt und wäre auch jetzt noch frei von Schmerzen, wobei er hinzu 
fügte, dass er nun gern sterben wolle, aber Gott bitte, dass er mich 
noch lange zum Wohl der leidenden Menschheit erhalten möchte. 
Am nächsten Tage war er, ohne noch einmal Morphium erhalten zu 
haben, schmerzlos und sanft gestorben. Hier hatte das Morphium 
wieder ein Wunder gewirkt, zur Freude des Kranken, der Angehörigen 
und des Arztes, aber solche Freuden gewährt es nicht immer, denn 
bei seinem wiederholten Gebrauch kommt der hinkende Bote in Ge 
stalt der Morphiumsucht nach, von der uns zu befreien es nicht so 
leicht ist. 
Fs bleiben also von allen schnellen Wirkungen der Arzeneien 
ausser den eben angeführten des Morphiums, der Schmerzen be 
täubenden Wirkung des Aethers, Chloroforms etc. und des bei 
Krämpfen der Kinder, die durch irgend einen schwer verdaulichen 
oder umfangreichen Nährstoff sich den Magen verdorben haben, durch 
ein Brechmittel — was ja aber auch in einer reichlichen Menge 
Wasser bestehen kann — hervorgebrachten augenblicklichen Auf 
hörens derselben, wenig übrig, die unsere Bewunderung erregen können. 
Wenn wir nun aber die Erfolge unserer Anwendungsformen, 
namentlich der feuchten Ganzpackungen, denen ich vor allen Dingen 
das Wort rede, am Krankenbett der akuten Kranken, besonders bei 
den hitzigen Ausschlagskrankheiten, Scharlach, Masern, Pocken, 
Kose und bei den Entzündungen, vergleichen, dann müssen wir ein 
gestehen, und auch die, welche den Kranken umgeben, werden mit 
uns übereinstimmen, dass solche auffallende, in die Augen 
springende, günstige Erscheinungen nie vorher von ihnen beobachtet 
worden sind. Denn wer nur irgend Gelegenheit gehabt hat, solche 
Vorgänge am Krankenbett zu beobachten, der wird bemerkt haben, 
dass Kinder, die stunden-, ja tagelang schon im heftigen Fieber 
gelegen haben, sich unruhig und stöhnend im Bett hin- und herwälzen, 
jede Nahrung verweigern, schon einige Minuten nach der ersten Ein 
packung sich so verändern, dass man sie kaum noch für krank halten 
kann, ja kleine Kinder, die tagelang die Brust der Nährenden 
verweigern und dieselbe nach einigen Zügen unter Schreien haben 
fahren lassen, saugen hintereinander die vollen Brüste aus, werden
	        
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