Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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Man sollte nun glauben, dass derartige Erfahrungen zur Vorsicht ver 
anlassen oder der Anwendung so gefährlicher Mittel überhaupt entgegenwirken. 
Aber die auf den Universitäten empfangenen Suggestionen sind so stark, das 
Selbstdenken so selten, dass keine Schädigung des Patienten den Glauben an 
einmal in Aufnahme gekommene Mittel zu erschüttern vermag. Sticker 1 ) und 
Betz 2 ) teilen verschiedene Fälle mit, bei welchen Frauen durch Chromsäure- 
Einführung in die Scheide vergiftet wurden. Für die schuldigen Aerzte fand 
sich kein Bichter, sondern es genügt, wenn den Kollegen mitgeteilt wird: 
„Nach solchen Erfahrungen scheint die Chromsäure, die sich so grosser Beliebtheit 
als Cauistikum erfreut, denn doch zu verdienen, dass ihrer giftigen Eigen 
schaften wegen vor ihr gewarnt wird.“ 3 ) — Langfeldt 4 5 ) stellte Ende 1894 
neun Fälle von Lysolvergiftung fest und nachdem Brenn ecke schon 1879 B ) 
Geh. Bat Maurer 1894 6 ) derartige Fälle mitgeteilt, nachdem ferner von 
L. Bonvallot 7 ) noch acht Fälle berichtet, sollte man doch erwarten, dass 
die Anwendung des Mittels unterbleibt. — Gott bewahre! Nur in einer der 
unten erwähnten Zeitschriften 8 ) wird gesagt: „Es sei erstaunlich, dass dieses 
Mittel so viele und gar so begeisterte Anhänger zähle.“ — Bietet sonach 
die staatliche Approbation und der Doktorhut dem Publikum keineswegs 
eine Gewähr für die Zuverlässigkeit des Arztes, so ist sie noch viel 
weniger als ein Gradmesser heilkünstlerischer Tüchtigkeit zu betrachten. 
Unzählige Beispiele und Gerichtsverhandlungen beweisen dies. Ging doch 
erst im Dezember v. J. durch alle Blätter die Nachricht, ein Dr. Max 
Schleiss in Löwenfeld habe bei einer Geburt (Querlage) die Mutter erst 
zwei Stunden entsetzlich gequält, sodann dem lebenden Kinde den Arm 
abgeschnitten. Ein zweiter Arzt vollendete die Entbindung in 10 Minuten. 
Das Kind starb und Herrn Dr. Sch. wurden nicht weniger als 3 Fälle nach 
gewiesen, in denen er sich ähnlich benommen. — Dass es sich hier in 
dessen keineswegs um einen vereinzelt stehenden Fall handelt, sondern dass 
vielmehr gerade bei der Geburtshilfe von den approbierten Aerzten mehr 
geschadet wird als genützt, beweisen die Aussprüche hervorragender Kliniker. 
So sagt Prof. Crecle: 9 ) „Die Ursache von Erkrankungen und Todesfällen 
(im Wochenbett) liegt ganz wo anders, nämlich in der unglücklichen Viel 
thuerei der Aerzte selbst.“ Prof. Schatz meint, „dass die meisten Fälle 
von Wochenbettfieber bei Frauen sich ereigneten, die ärztliche Hilfe ver 
langt hätten,“ und Prof. Bennecke .sagt gar: „dass die meisten Wochen- 
bettfieber-Epidemien nicht von der Hebeamme, sondern von den Aerzten 
ausgehen.“ 10 ) Dasselbe Urteil fällen Prof. Winkel und Battlehner. 
Noch schlimmer sieht es aus auf allen übrigen Gebieten der wissen 
schaftlichen Heilkunde.. Erst im November v. J. wurde der Arzt in Wörr 
stadt (Kreis Alzey) zu 2000 Mk. Geldstrafe verurteilt, weil er einen Patienten 
um den Gebrauch seines Armes gebracht hatte. Ebenso musste kurz vorher 
Dr. G. A. W. Hack aus Leimen 500 Mk. zahlen, weil durch sein Verschulden 
das Kind des Maurers Kraft in St. Hgen völlig erblindet war. Die aus 
neuester Zeit angeführten und hunderte anderer bekannt gewordener Fälle 
bestätigen die Bichtigkeit des von Prof. Kob ert 11 ) ausgesprochenen Satzes: 
„Leider müssen wir eingestehen, dass die Zahl der von uns durch unrichtig 
dosierte oder unpassende Arzneien getöteten Menschen eine sehr grosse ist.“ 
9 Münch, med. Wchschr. 1895. Nr. 28. 
2 ) Odo Betz. „Memorabilien“. 36. Jahrg. Beft III. 
8 j Wiener med. Presse. 1895. Nr. 30. 
4 ) Der Aerztl. Praktiker. 1894. Nr. 33 u. 38. 
5 ) Berl. klin. Wchschr. 1879. Nr. 31. 
6 ) Aerztl Central-Anz. 1894. Nr. 40. 
7 ) Schmidt’s Jahrb. 1893. Nr. 10. S. 63. 
8 ) Der Aerztl. Prakt. 1895. Nr. 1. 
9 J Archiv f. Gynäkologie. 1888. Band 32. S. 105. 
10 ) Archiv f. Gynäkologie. 1885. Band 25. S. 164. 
n ) Robert. Lehrbuch d. Intoxikationen. 1893. S. 81.
	        
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