Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

—Feuilleton. |fc— 
Das Niesen. 
Humoreske von W. Fri cke-Bielefeld. 
Ein Heiz, der urplötzlich die Schleimhäute und Härchen der Nase 
berührt, soll das Niesen hervorrufen; er ist im allgemeinen kein unange 
nehmer, vielmehr ein befreiender, denn er führt fremde Partikelchen hinaus 
und daher wurde er stets als ein gesunder betrachtet und seinem Auftreten 
das „Prosit“ angefügt. Als Vorläufer des Schnupfens tritt dieser Heiz oft 
mit grosser Stärke auf, ein Zeichen, dass sich die Schleimhäute von ihrer 
Affektion auf dem einfacheren Wege befreien wollen, was ihnen zuweilen 
gelingt, meist aber ein vergeblicher Versuch bleibt, worauf dann die Schleim 
drüsenzellen ihr wasserreiches .Sekret auszuscheiden beginnen. 
Das „Prosit“ ist also gewissermassen eine Gratulation, dass der Körper 
diesen bequemsten Ausscheidungsprozess eingeschlagen, wodurch ein unan 
genehmerer verhindert wird. 
Man scheint schon in ältester Zeit das Niesen als ein Zeichen be 
trachtet zu haben, dass die Lebenskraft noch nicht gesunken sei, da man 
die Wahrnehmung machte, dass es Kranken fehle und, wenn es sich ein 
stellte, als ein Zeichen der Wiedergenesung derselben zu begrüssen wäre. 
Die Alten fassten es als die geheimnisvolle Sprache der Götter auf. Selbst 
Sokrates führte einen Entschluss, wenn er von einem Niesen begleitet war, 
init froher Zuversicht aus, denn er betrachtete diese Prozedur seiner Nase 
als einen göttlichen Antrieb. Als die arme Penelope eines Tages um die 
Wiederkehr ihres Odysseus betete, niesete ihr Sohn Telemach, dass das 
Gemach erbebte, und nun hob sich die Hoffnung der Mutter zu fester 
'Gewissheit. 
Als Xenophon seine Zehntausend beredete, den Weg nach Norden 
zum schwarzen Meere einzuschlagen, niesete am Schlüsse der Ansprache 
einer der Zuhörer und sofort stimmten alle zu. Wenn wir heute sagen: 
„Wir wollen die Sache beschlafen“, so hiess es früher: „Wir wollen sie 
beniesen.“ 
Tiberius gab den Befehl, dass, wenn er niese, „Glück und Heil“ ihm 
zugerufen werden müsse. „Salve!“ riefen sich die Hörner einander zu, 
wenn einer unter ihnen den Heiz seiner Nase äusserte, dem Nieser aber 
galt ein „Jupiter erfreue dich!“ Plutarch hielt das Niesen für die Sprache 
der Seele, wie der Puls die des Körpers sei, während Aristoteles sich ver 
geblich bemühte, die Ursache desselben zu ergründen. 
Auch die Zeit des Niesens wurde schon früher in Betracht gezogen. 
In alter Zeit hielt man es für unheilbedeutend, wenn es am Morgen beim 
Aufstehen sich einstellte; man blieb daher wohl liegen. Nieste man aber 
am Mittag, vielleicht nach Aufhebung der Tafel, dann klang das Salve der 
Begrüssung unter den Gästen mit grosser Begeisterung, ja man setzte sich 
aufs neue und begann die Mahlzeit von vorn, woraus man auch schliessen 
könnte, dass man den bösen Eindruck des Niesens dadurch zu verbannen 
gedachte. Ein Kranker durfte bei den Hörnern nicht einmal niesen, denn 
das bedeutete seinen Tod, zweimal dagegen seine Besserung. 
Eine der ältesten Sagen der Israeliten bezieht sich auf das Niesen 
und behauptet, dass man nur einmal dasselbe ausüben dürfe und zwar kurz 
vor dem Tode, da man annahm, dass mit dem Hazzi die Seele entweiche. 
Jakob soll nun Jehova gebeten haben, dass er ihn doch niesen lassen möchte, 
so oft er wolle, was ihm gewährt worden sei, welche Gunst sich dann auf 
seine Nachkommen vererbt hätte. 
Selbst bei den wilden Völkern stand das Niesen unter der Signatur 
des Glückes und der Gesundheit, besonders aber, wenn es Könige, Kaziken 
und Häuptlinge öffentlich befiel. Bei uns ist die ehemalige Bedeutung im 
Abnehmen begriffen; während man früher es als eine Beleidigung ansah,
	        
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