Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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pfuscher, „im Plauenschen Grunde bei Dresden thätig war“. Damit enthebt 
er uns wohl, eine Kritik zu üben, welche wenig schmeichelhaft ausfallen 
könnte. Mit etwas halbverdauter Wissenschaft, viel gründlicher Unwissenheit, 
einer kindlichen Selbstgefälligkeit und dem besten Willen hat er eine 
Broschüre zuwege gebracht, deren Lektüre niemanden, und am allerwenigsten 
den Arbeitern, für die sie bestimmt ist, empfohlen werden kann. 
Die Vorliebe gerade unserer Partei für medizinische Belehrung und 
Behandlung durch Personen, welche nach keiner Richtung hin sich dazu 
ausgebildet haben, ist wohl als Auflehnung gegen die innungsgemässe 
Wissenschaft begreiflich und durch vielfache Unzulänglichkeit der orthodoxen 
Medizin und noch mehr der orthodoxen Mediziner nur allzu leicht zu er 
klären. Immerhin gehört nicht viel Ueberlegung dazu, um einzusehen, dass 
wenn ein wissenschaftlicher Arzt auch menschlich irren kann, eine unwissen 
schaftliche Person viel eher und viel gefährlicher irren wird. Der Mechaniker 
wird dem Handlanger keinerlei selbständige Eingriffe an der Maschine er 
lauben, aber die unendlich kompliziertere Maschine des menschlichen Körpers 
soll irgend ein Pfarrer oder Lehrer, Schuster oder Schäfer ohne weiteres 
behandeln können, sobald er mit dem nötigen Selbstvertrauen ausgerüstet 
ist und sich Heilkundiger tituliert. Dass solche Herren dann und wann den 
Nagel auf den Kopf treffen, wie auch Herr Wolf, macht sie nicht weniger 
gefährlich, sondern höchstens gefährlicher. 
Die Position des sogenannten Naturarztes ist genau so unmöglich, als 
die eines Menschen, welcher sich anschicken würde, eine elektrische Anlage 
zu machen, ohne die Grundsätze der Elektrizität zu kennen, oder eine fremde 
Sprache reden wollte, ohne ein Wort davon gelernt zu haben. Es giebt 
keine gottbegnadete vom Himmel gefallene „Heilkünstler“; das Verständnis 
der Heilkunst setzt ein langes und eingehendes Studium voraus, und wer 
das nicht durchgemacht hat, sollte der Versuchung widerstehen, als Arzt 
aufzutreten. Es wäre endlich an der Zeit, dass die Parteigenossen anfingen, 
mit diesem Unfug aufzuräumen. Dr. H. B. Ad.“ 
Zunächst muss ich ganz entschieden für viele meiner Berufsgenossen 
und auch für meine Person den Vorwurf zurückweisen, als hätten wir uns 
zur Ausübung der Heilkunde „nach keiner Richtung hin dazu ausgebildet“. 
Wir zählen in unseren Reihen Leute, die jahrelang an Universitäten medi 
zinische Studien getrieben haben, Leute, die jahrelang an Heilanstalten 
unter Leitung tüchtiger Aerzte thätig waren, Leute, die den vom Deutschen 
Naturärzte-Verein veranstalteten und von Aerzten geleiteten Unterricht ge 
nossen haben u. s. w. Dass diese Ausbildung vielfach lückenhaft ist, wissen 
wir so gut, wie Dr. H. B. Ad.*) und wir bedauern es am meisten, dass es 
so ist. Aber das können wir augenblicklich nicht ändern. Das Volk hungert 
und dürstet nach Aufklärung über Gesundheitspflege und Heilkunde. Immer 
grösser wird das Bedürfnis nach ausübenden Vertretern der Naturheilmethode. 
Aber die wenigen approbierten Aerzte, welche in dieser Richtung thätig 
sind, reichen nicht aus. Also was bleibt uns übrig, als auch Laien zur Be 
wältigung dieser Arbeit heranzuziehen? Die Aerzte, welche eigentlich be 
rufen sind, das Volk über Gesundheitspflege und Heilkunde aufzuklären, sie 
gehen gleich dem Priester und Leviten achtlos an dem kranken Volk vor 
über. Will man es nun den Laien verdenken, wenn sie gleich dem barm 
herzigen Samariter sich des kranken Volkes annehmen? Oder glaubt 
Dr. H. B. Ad., es wäre vom barmherzigen Samariter klüger gewesen, den 
unter die Mörder Gefallenen liegen zu lassen, da er ihn doch nicht so 
„schulgerecht“ verbinden konnte, wie der die Heilkunde ausübende Priester 
oder Levit? Steht Dr. Ad. auch auf dem Standpunkte: Lieber „wissen 
schaftlich“, d. h. schulgerecht, verderben, als unwissenschaftlich geheilt, 
zu werden? 
Und Dr. Ad., wo wäre die sozialdemokratische Bewegung geblieben* 
*) Hat sich als Frau Dr. Adam-München entpuppt.
	        
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