Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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mischte Kost die beste. Fleisch wird einmal des Tages, mittags verabreicht. 
Die Diät sei milde und reizlos, leicht verdaulich und nahrhaft. Alle Genuss 
und Reizmittel sind nach Möglichkeit einzuschränken, Kaffee, Thee, Bier, 
Wein, Tabak, Bouillon sind ganz zu meiden, und statt dessen Milch, Milch 
speisen, Kefir, Obst, Fruchtsäfte etc. zu gemessen. Eine Citronen- oder 
Apfeisinenkur ist mitunter bei Erregungszuständen, Kongestionen nach dem 
Kopf und bei Angstzuständen ganz vorteilhaft. 
Kommt hierzu eine gute sauerstoffreiche Luft, so genügen diese Mass 
nahmen oft, um leichtere Fälle von Neurasthenie zur Heilung zu bringen. 
Leider lassen sich aber diese Vorschriften nicht immer durchführen. 
Nicht jeder ist im stände, sich 6—8 Wochen Urlaub zu nehmen, so der Be 
amte, der Lehrer, der Kaufmann, anderen fehlt das nötige Geld für die Reise 
oder sie sind im Geschäft unabkömmlich. Und doch wollen auch diese ge 
sund werden! Da können wir dann noch eine Reihe von Heilfaktoren heran 
ziehen, mit Hilfe deren es uns gelingen wird, auch in der eigenen Häuslich 
keit Heilung oder doch wenigstens Linderung zu schaffen, so die Heil 
gymnastik und Massage, die Elektrizität, die Psychotherapie, die Hypnose, 
und vor allem die Hydrotherapie. Auf letztere will ich in Folgendem etwas 
genauer eingehen. 
In der Behandlung der Neurasthenie mittelst des Wassers ist viel ge 
sündigt worden. Es gab eine Zeit, wo namentlich das kalte Wasser als das 
ausschliessliche Heilmittel der Nervosität galt. Doch dieser Fanatismus ist 
in den letzten Jahrzehnten bedeutend abgekühlt worden, nachdem man end 
lich einsah, dass manche Neurastheniker auch die mildesten Wasser 
anwendungen nicht vertragen. 
Wenn wir nun die Lehrbücher der Naturheilmethode zur Hand nehmen 
und das Kapitel über Neurasthenie aufschlagen, um uns dort in der Wasser 
behandlung der Nervosität Rat zu holen, so findet man eine Reihe von Pro- 
ceduren genannt, ohne dass dabei das Wo und das Warum gesagt wird. 
Es hat darnach den Anschein, als ob die Wirkung aller Anwendungen eine 
gleiche sei und als ob dieselben in jedem Falle passten. Der Anfänger 
vermisst die Anknüpfungspunkte für die einzelnen Prozeduren, und ist 
darum ganz auf das Durchprobieren angewiesen. 
In der Mehrzahl der Fälle stehen wir bei jeder Neurasthenie einer 
bestimmten Symptomengruppe gegenüber, welche der Hauptsache nach 
entweder den Stempel der Schwäche oder den der Reizbarkeit an sich trägt, 
und diese beiden Punkte sind es, welche uns in unserem hydrothera 
peutischen Handeln leiten müssen. Hier gilt es z. B. das erregte Nerven 
system zu beruhigen, dort sind örtliche Schmerzen und Hyperaesthesien zu 
beseitigen, dort sind die geschwächten, unthätigen Nerven zur Thätigkeit 
anzuregen und ist die geistige Depression zu heben. Hier handelt es sich 
um motorische und sensible Reizbarkeit der Magen- und Darmnerven, dort 
um das Gegenteil, um Schwäche und völlige Unthätigkeit dieser Organe. 
Je nach dem nun das eine oder das andere vorliegt bezw. vorherrscht, 
werden wir beruhigende oder erregende Prozeduren wählen, oder dieselben 
in Temperatur etc. so bemessen, dass sie die eine oder die andere Wirkung 
haben. Beruhigende Proceduren finden bei weitem die meiste Verwendung. 
Im allgemeinen kommt nur eine milde Wasserbehandlung in Betracht, 
d. h. mittlere Temperaturen. Kaltes Wasser regt die Nerven auf und 
steigert die Reizbarkeit derselben und entzieht blutarmen Personen zu viel 
Wärme. Andererseits wird durch zu warmes Wasser wieder die Schwäche 
vermehrt. Mit Temperaturen dagegen, welche sich nicht zu weit von der 
Oberflächentemperatur des Körpers entfernen, vermeiden wir die Ueber- 
reizung und die Schwächung. Jede Prozedur muss dem Kranken angenehm 
sein, er darf kein Grauen vor ihr haben und hinterher kein Unbehagen und 
keinen Frost empfinden. Bei allen kühleren Prozeduren ist darauf zu achten, 
dass der Körper vorher warm ist. Nie kaltes Wasser auf kalten Körper! 
Bei allen ausgedehnteren kühlen Prozeduren ist vorher und während der-
	        
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