Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

Gewerbe- und Wohmmg’shygiene. 
— Wohnungselend. Vor einiger Zeit erschien in London eine Aufsehen 
erregende Schrift über die Arb eit er Wohnungen Englands. Darin heisst es 
unter anderem: 
„Wenige von denen, welche diese Zeilen lesen, können sich einen Begriff 
davon machen, wie diese verpesteten menschlichen Krähen-Nester sind, in denen 
Zehntansende zusammengedrängt, inmitten von Greueln leben, welche an das 
Zwischendeck eines Sklavenschiffes erinnern. Um in dieselben zu gelangen, 
muss man Höfe durchschreiten, die mit giftigen und stinkenden Gasen gefüllt 
sind, die aus Haufen von Abfällen und aus schmutzigen Abflüssen, denen man 
kaum ausweichen kann, aufsteigen; Höfe, in die nie ein Lichtstrahl, nie ein 
frischer Luftzug dringt, die fast nie gereinigt werden. Man muss auf zer 
brochenen Stiegen hin auf steigen, die unter jedem Schritt einzustürzen drohen 
und, an manchen Stellen schon gebrochen, klaffende Löcher zeigen, welche die 
Glieder und das Leben der Unachtsamen bedrohen. Man muss seinen Weg 
durch dunkle und schmierige, von Ungeziefer wimmelnde Gänge suchen. 
Habt ihr je die armen Menschen bedauert, welche unter Thorbogen, in 
Körben oder Kisten, oder wo immer sie unter freiem Himmel ein derartiges 
Obdach finden, schlafen? Ihr werdet sehen, dass diese noch beneidenswert sind 
im Vergleich mit jenen, die in solchen Wohnungen leben. Acht Quadratfuss, 
das ist ungefähr die durchschnittliche Grösse dieser Zimmer. Wände und 
Decke sind schwarz von dem Schmutze, der sich in langen Jahren der Ver 
nachlässigung dort angesammelt hat. Er sickert durch die Kitzen der Decke, 
er rinnt die Wände hinab, er ist überall. Das sogenannte Eenster ist mit 
Lumpen verstopft oder mit Brettern vernagelt, um Wind und Kegen fern zu 
halten, das übrige ist so beschmiert und verdunkelt, dass kaum etwas Licht 
eindringt oder ein Ausblick möglich wird. 
Und steigt man zum Dachboden hinauf, wo doch vielleicht etwas frische 
Luft durch offene oder zerbrochene Eenster eindringen könnte, so sieht man 
auf die Dächer und Vorsprünge niedriger Häuser und entdeckt, dass die 
schlechte Luft, die in den Kaum dringt, über faulende Katzen und Vogel- 
Leichen und über noch ekelhaftere Gegenstände dahinstreicht. Die Häuser 
sind in so schlechtem Zustande, dass man glaubt, sie würden über den Köpfen 
der Einwohner einstürzen, wenn der Wind sie nur erreichen könnte. 
Jedes dieser wüsten Gemächer birgt eine oder zwei Eamilien. In einem 
Keller fand ein Sanitätsinspektor Vater, Mutter, drei Kinder und — vier 
Schweine. In einem Zimmer fand ein Missionar einen blatternkranken Mann, 
dessen Weib gerade ihre Niederkunft überstanden hatte, und die halbnackten, 
schmutzbedeckten Kinder. Dann wieder sieben Personen in einer Kellerküche 
und ein totes Kind in derselben. In einer anderen fand er eine Witwe mit 
drei Kindern und das vierte Kind, das vor dreizehn Tagen gestorben war. 
Der Mann jener Witwe, ein Kutscher, hatte kurz vorher durch Selbstmord 
geendet. Dort wieder lebt eine Witwe mit sechs Kindern, darunter eine 
Tochter von 29, eine zweite von 21 und ein Sohn von 27 Jahren. Ein anderer 
Kaum beherbergt Vater, Mutter und sechs Kinder, von denen zwei am Scharlach 
fieber krank sind. Eine Mutter schickt ihre Kinder in den ersten Abendstunden 
auf die Strasse, weil sie ihr Zimmer um diese Zeit zu unsittlichen Zwecken 
vermietet, und zwar bis lange nach Mitternacht, wo dann die armen Geschöpfe 
zurückkehren, wenn sie unterdessen keinen Schlupfwinkel gefunden haben. Die 
Betten, wo es überhaupt solche giebt, sind Haufen schmutziger Lumpen, 
Spähne, oder Stroh, aber meist schlafen jene Unglücklichen auf dem Boden. 
Die Bewohnerin eines Zimmers, eine Witwe, benutzt das einzige Bett und 
vermietet den Eussboden einem Ehepaar um 2 Sh. 6 P. wöchentlich. 
Oft werden die Zustände noch durch die ungesunden Beschäftigungen 
der Bewohner verschlechtert. Hier erstickt man fast beim Eintritt in eine 
Luft, die von Teilchen der Pelzabfälle von Kaninchen, Hatten, Hunden und
	        
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