Volltext: Der Naturarzt 1897 (1897)

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and insbesondere der Naturheilvereine. Es ist den Medizintyrannea 
wohl bekannt, dass sie weniger die Energie der Yolksmassen zu 
fürchten haben als vielmehr den Widerstand von Minoritäten, die die 
Massen mit sich fortreissen. Es gilt also diese Minoritäten zu be 
seitigen und diese Minoritäten sind die Laien-Praktiker! Ihnen den 
Boden entziehen, heisst für den Schulmedizinismus siegen. 
Und dass es nicht edle Nächstenliebe, dass es nicht die Sorge 
um das Wohl des Volkes ist, welches die ärztlichen Streiter mit 
solchem Hass erfüllt gegen die Laienärzte, nicht „das Mitleid mit 
den von Kurpfuschern betrogenen Kranken“, sondern selbstsüchtiger 
Konkurrenzneid, das beweist der gleichzeitige Kampf gegen die Zu 
lassung weiblicher Aerzte. Sie wären eine dringende Notwendigkeit, 
ihre Anerkennung ein Recht, welches zu fordern die Frauenwelt 
nicht nachlassen darf, aber dies Recht kürzt man der ohnehin recht 
loseren Hälfte des Volkes unter den nichtigsten Vorwänden! Tausende 
Mädchen und Frauen siechen dahin, weil ein in vielen Fällen nur 
allzuberechtigtes Schamgefühl sie abhält, sich dem fremden Manne zu 
vertrauen. Das wissen wir alle, aber das namenlose Elend rührt sie 
nicht, die Hüter ärztlicher Standesinteressen! 
Es giebt Optimisten, die die Gefahr unterschätzen, aber die 
Beschlüsse der wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen 
müssen auch den Sorglosesten aufrütteln. Mit grosser Majorität hat 
die Deputation den Antrag des Geh. Rat Lent-Köln angenommen, 
der dahin geht, die Kurierfreiheit aufzuheben und die Ausübung der 
Heilkunde seitens Nichtapprobierter unter Strafe zu stellen. Also 
morgen soll Verbrechen sein, was heute erlaubt und ehrenhaft ist?! 
Herr Lent kennt die Windrichtung im Staate sehr genau. Er sagte 
in Elberfeld kürzlich nach einem Vortrage seines Kollegen Vanselow 
über den „Nutzen der Pockenimpfung“ in öffentlicher Versammlung: 
^Man weiss es uns von Oben Dank, dass wir diesen Vortrag halten 
fassen.“ — Wenn wir uns nicht rühren, überrumpelt man vor Thores- 
schluss den Reichstag mit der Gesetzesvorlage, und wie immer bei 
»o „uninteressanten“ Vorlagen, deren Erledigung nach Ansicht vieler 
Volksvertreter Sache der Aerzte ist, geht dieselbe bei gähnend leerem 
Hause durch und wird Gesetz. 
Dann aber wehe der Naturheilbewegung! — 
Man hoffe nicht darauf, dass inzwischen das Vereinsgesetz er 
weitert ist und den Vereinen grössere Bewegungsfreiheit gestattet. 
Wer soll denn agitieren, wenn es Laienpraktiker nicht giebt 
und die wenigen geeigneten Aerzte nicht mehr agitieren dürfen? 
Wird den letzteren doch die Abhaltung von Vorträgen vor einem 
Publikum von Laien durch die Standesordnungen verboten. Also 
nicht belehrt werden soll das Volk, sondern diejenigen, die von des 
kranken Volkes Groschen leben, erklären es für unehrenhaft, dasselbe 
Volk in gesunden Tagen aufzuklären und vor Erkrankung zu be 
wahren! — Diese Bestimmung gleicht einem Faustschlag ins Angesicht 
des Bürgertums, den kein ehrenhafter Mann, den kein Verein sich ge 
fallen lassen darf! Sie ist der Anfang vom Ende der Naturheil 
bewegung, die nach Aufhebung der Kurierfreiheit ein kümmerliches 
Dasein fristen würde. 
Aber sind wir denn wehrlos? Haben wir nicht den mächtigsten 
Bundesgenossen für uns, „den Erfolg“, der hier zugleich den „Beweis
	        
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