Volltext: Der Naturarzt 1896 (1896)

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Allen Eltern aber, denen ihre Kinder lieb sind, möchte ich znrnfen: „Schliesst 
Euch der Naturheilbewegung an! Erziehet Eure Kinder naturgemäss! Wie 
viel Kummer, wieviel Sorge erspart Ihr Euch dadurch, wieviel Schmerzen 
Euren Kindern! 
Neustadt, Ober-Schlesien. Gfustav Dressier, Spulermeister. 
Ein interessanter Prozess. 
Am 16. Dezember 1895 erschien der Naturheilkundige Karl Schüller 
aus Plauen bei Dresden vor der II. Strafkammer des Landgerichts zu Dresden,, 
um sich wegen fahrlässiger Tötung zu verantworten. Die ca. achtstündige 
Verhandlung gestaltete sich zu einem interessanten Wettkampf zwischen 
Medizin- und Natur-Heilkunde. Den Standpunkt der Medizin vertraten die 
von der Staatsanwaltschaft geladenen Sachverständigen, G-erichtsarzt, Medizinal- 
Rat Dr. Donau und Dr. Bachstein aus Dresden, während der Senior der 
deutschen Naturärzte, Dr. Schulze und sein jugendlicher Kollege, Dr. Weyl,. 
beide aus Berlin, als Sachverständige für das Naturheilverfahren fungierten. 
Die Verteidigung des Angeklagten hatte Rechtsanwalt Lothar Volkmar aus- 
Berlin übernommen. Der Thatbestand ist folgender: 
Am 24. November v. J. wurde der Naturheilkundige Schüller zu dem 
sechs Monate alten Kinde des Xylographen Trautmann gerufen, welches bereits- 
seit drei Monaten an einem bösartigen Ausschlag des Kopfes erkrankt war. 
Der Kopf war ausserdem beträchtlich angeschwollen, und die Augen 
des Kindes ganz und gar zugeschwollen, so dass dasselbe seit 
längerer Zeit überhaupt nicht mehr sehen konnte. Die Verdauung des Kindes- 
lag gänzlich danieder. Die Mutter des Kindes hatte bereits seit drei Monaten 
alle möglichen sogenannten Hausmittel durchprobiert, bis sie sich gezwungen 
sah, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Schüller diagnostizierte das- 
Leiden als hochgradige Skrophulosis, hervorgerufen durch Verdauungsstörungen,, 
sowie erbliche Anlage. Schüller liess sofort eine dem Zustande der Krankheit 
und des Kindes angepasste, ableitende Behandlung vornehmen und führte die- 
Packungen, Bäder u. s. w. in den ersten Tagen selbst aus. Wie immer so- 
auch hier schlugen die einfachen Anwendungsformen der Naturheilkunde auch 
sofort an und bereits nach drei Tagen konnte das Kind die Augen, welche so 
lange geschlossen waren, wieder öffnen, und nach vierzehn Tagen hatte sich 
der ganze Zustand des Kindes bedeutend gebessert. Schüller kam nunmehr 
nur noch wöchentlich einmal und wunderte sich, dass der Zustand des Kindes 
innerhalb vier Wochen der gleiche geblieben war. Die Mutter des Kindes er 
klärte jedoch, dass alle von Schüller verordneten Anwendungen gewissenhaft 
ausgeführt würden. Durch ausgedehnte Landpraxis gehindert, konnte Schüller 
die kleine Patientin längere Zeit nicht besuchen und glaubte, die Mutter,, 
welche nur drei Häuser von seiner Wohnung wohnte, würde ihn im Bedarfs 
fälle rufen lassen, auch nahm er an, dass durch fleissig fortgesetzte Anwendung 
seiner Verordnungen die Krankheit des Kindes sich bessern würde. Leider 
war dies nicht der Fall und nunmehr, nachdem bereits wieder eine erhebliche 
Verschlimmerung eingetreten, und der Kopf des Kindes in einer Nacht in be 
sorgniserregender Weise angeschwollen war, liess die Mutter Schüller abermals 
rufen, welcher auch sofort kam und eine intensivere Anwendung seiner Ver 
ordnungen vornehmen liess. Als nun nach eintägiger Ausführung von Schüllers 
Verordnungen nicht sofort eine in die Augen fallende Besserung eingetreten 
war, bekam die Mutter Angst und liess auf eigene Veranlassung den Mediziner 
Dr. Pohle holen und liess dies Schüller sagen, der infolgedessen seine Besuche 
einstellte. Dr. Pohle verschrieb, da er an eine syphilitische Erkrankung 
glaubte, Quecksilber in kräftigen Dosen. Er sagte der Mutter, dass sie sich 
nicht ängstigen solle, wenn das Kind auch sechsmal täglich ausleere. Die 
Wirkung war nach Aussage der Mutter derart, dass das Kind nicht sechsmal, 
sondern dreissig- bis vierzigmal ausleerte; es schrie und jammerte dabei gana
	        
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