Volltext: Der Naturarzt 1896 (1896)

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keiner will anfangen aus höflicher Rücksicht auf die Kollegen, und natürlich 
sprechen sie bald alle zugleich. Dr. Tomes verschreibt den unausbleiblichen 
Aderlass, Dr. Des Fonandres erklärt sich dagegen, und ein lebhafter Streit 
entspinnt sich. 
Dr. Tomes: Ich behaupte, das Brechmittel tötet die Kranke: 
Dr. Des Fonaudres: Und ich behaupte, der Aderlass bringt sie um. 
Schliesslich verlassen sie beide zornig das Zimmer, und Sganarelle 
wendet sich flehend an die zwei übrigen, Der eine spricht zu langsam, der 
andere spricht zu schnell: Purganz und Aderlass werden verschrieben. 
Dr. Macroton: Freilich kann Ihre Tochter bei alledem sterben; aber 
Ihr werdet zum wenigsten doch das Eurige gethan und den Trost haben, dass 
sie methodice gestorben ist. 
Und der Stotternde Dr. Bahis bemerkt mit wichtiger Miene: 
„Es ist besser, nach den Regeln zu sterben, als gegen die Regel gesund 
zu werden.“ 
Unterdessen bleibt der Vater verzweifelt: Wird niemand seine Tochter 
heilen? — Doch, guter Sganarelle, der junge Clitandre selbst, der Liebhaber, 
wird sie heilen. Er braucht nur sich als Arzt zu verkleiden, sich mit Doktor 
hut zu melden, und du wirst schon sehen, glücklicher Vater, wie die Genesung 
bald eintreten wird. Die immer dienstbereite Lisette hat in der That den 
Liebhaber eingeführt und stellt ihn dem besorgten Vater als grossen Ge 
lehrten vor. 
„Er hat aber einen sehr jungen Bart,“ bemerkt Sganarelle. 
„Die Wissenschaft lässt sich nicht nach dem Bart abmessen, und nicht 
am Kinn steckt die Gelehrsamkeit.“ 
Der junge Doktor ist auch kein alltäglicher. 
„Meine Mittel, Herr Sganarelle, sind nicht die der anderen Kollegen. 
Diese verordnen Brechpulver, Aderlässe, Klystiere und Mixturen. Ich 
aber kuriere durch Worte, durch Töne, durch Buchstaben, Talismane und 
Planetenringe.“ 
Ja, ein gescheidter Mensch, der junge Arzt ; und dass er Lucinde wieder 
gesund machen wird, bezweifelt der Vater keinen Augenblick. Lucinde wird 
also wieder gesund, aber wird dem Vater von dem gewandten Liebhaber weg 
geschnappt. Eine so vollkommene Erlösung hatte sich der arglose Sganarelle 
nicht gedacht. 
Ein Jahr nach der Aufführung des „Liebhaber als Arzt“ griff Moliere 
die Fakultät wieder an mit dem „Arzt wider Willen“. Zwar ist das Stück 
nur eine Parodie, denn der Mann, der diesmal als Arzt auftritt, ist kein echter 
Arzt, sondern ein einfacher Reisigbündelmacher. Der lustige, unverschämte 
Mensch hat einige Brocken Lateinisch aufgefischt: es ist ihm genügend, seine 
Rolle zu spielen. Moliere verspottet in diesem Stück die Unwissenheit der 
damaligen Aerzte, ihren Phrasenschwall und ihre Pedanterie köstlich. Ich 
empfehle den Lesern des „Naturarzt“ dieses Lustspiel; da wir hier mit keinem 
wahren Arzt zu thun haben, begnüge ich mich damit, das Stück zu erwähnen. 
Moliere liess die Aerzte drei Jahre in Ruhe. 1669 fing der Krieg wieder 
an mit „Herr von Sourceaugnäc“. Ein Provinziale aus Limoges, Herr von 
Pourceaugnac, kommt nach Paris, die Tochter Gerontes, Julie, zu heiraten. 
Ueber seine Ankunft will sich Julie aber gar nicht freuen, und sie bittet ihren 
Liebhaber, Eraste, er solle sie von dem unangenehmen Provinzialen befreien. 
Dem armen Werber wird also ein netter Empfang vorbereitet: Eraste will ihn 
nämlich den Aerzten und Apothekern preisgeben; und es liegt kein Zweifel 
daran, dass solche Leute den Aufenthalt des Herrn von Pourceaugnac so bitter 
und so unerträglich zu machen wissen werden, dass er nach Limoges schleunigst 
wieder fahren wird. 
Eraste trifft sofort die nötigen Vorbereitungen mit einem Apotheker: der 
angekommene Herr, ein Verwandter, sei nicht ganz richtig im Kopf; da er 
aber heiraten wolle, müsse er erst kuriert werden. Ein Doktor ist auch 
bestellt worden und wird erwartet.
	        
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