Volltext: Der Naturarzt 1894. (1894)

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jenes Wiener Arztes bezeugt, der da sagte: Wer die wahre Heilkraft des 
Wassers mit den Kämpfen der Natur und die daraus entspringenden günstigen 
Erfolge bewundern will, muß die Behandlung in Gräfenberg sehen — und 
der größte Arzt, sollte er auch der bitterste Feind des Prießnitz sein, 
muß ihn doch als ein unerklärbares Phänomen am medizinischen 
Horizont anerkennen, dem Wahres als scharfsinnigem und umsichtigem 
Naturarzt durchaus zu teil geworden ist . . . Oft haben die Aerzte Prießnitz 
bereden wollen, den Patienten Medikamente neben dem Wasser zu geben. 
Hier blieb derselbe aber immer eisenfest! Eine Patientin lag fast 
täglich 4—6 Stunden in den furchtbarsten Krämpfen. Ein anwesender homöo 
pathischer Arzt erkundigte sich fleißig nach ihrem Befinden, und als Prieß 
nitz ihm erzählte, daß sich kritische Erscheinungen einstellten, verlangte er 
zur Patientin gelassen zu werden, um ihr einige homöopathische Pulver bei 
zubringen. Prießnitz sagte natürlich: „Nein“; Her Mann wollte die Kranke 
wenigstens an seinem Pulver riechen lassen. Auch das erlaubte Prießnitz 
nicht. Hie kritischen Erscheinungen gingen ihren Gang, und die Patientin 
genas“ . . . 
Noch eine Belegstelle für Prießnitz’ Arzneilosigkeit muß ich hier 
anführen, da sie beweist, daß heutzutage niemand ein größerer Puritaner 
sein kann als er. Und was würde er zur Kneipp’sehen Kräuterapotheke 
sagen, abgesehen von der direkten Medizinpfuscherei fast sämtlicher Kneipp - 
ärzte?! Br. Meitzer erzählt in seinem Buche:. „Hie Resultate der Wasserkur 
zu Gräfenberg“ (1887), daß ein Kurgast, dem die Augen früh immer zuge 
klebt waren, etwas Kochsalz ins Wasser thun wollte, wie er daheim schon 
es gethan. Prießnitz erklärte ihm: „Ob das Mittel hilft, oder nicht hilft — 
wir wollen beim reinen Wasser bleiben! Zwei oder drei Sitzbäder mit kalten 
Kopfumschlägen werden helfen.“ Und er hatte richtig verordnet. 
„Hie Leute irren sich, wenn sie glauben, ein Arzt müsse in der Stadt 
oder auf dem Lande wohnen. Her wahre Arzt wohnt in dem. Menschen selbst. 
Was ich den Patienten empfehle, gilt den Aerzten als Totschlag. Schwitzen und 
kalt baden, schwitzen bei offenen Fenstern, kalt trinken und zugleich schwitzen, 
Wasser trinken beim Essen — das sind den Leuten unerhörte Hinge!“ sagte 
Prießnitz eines Tages im Gespräch ... Splitterrichter hat Prießnitz genug. 
Aber auf dem Gräfenberge, mit Ausnahme seiner hypochondrischen Kranken, 
die ihn dafür in andern Momenten desto lebhafter in den Himmel erheben, 
gewiß keinen einzigen. Und wenn man doch einen solchen fände, so kann 
man ihn gewiß „Herr Doktor!“ anreden; denn er ist ohne Zweifel ein Arzt.“ 
So zu lesen bei Kobbe! 
Bas schamloseste Pamphlet hat wohl Hr. Ehrenberg in Leipzig ge 
schrieben, um „die heiligsten Interessen der Wissenschaft gegenüber einer 
durch Charlatanerie bethörten Menge zu wahren“. Kobbe sagt in seiner 
Widerlegung und Ehrenrettung des Prießnitz: „Hie Aerzte wissen recht gut, 
daß Prießnitzens Wusser nicht mehr zurückebben wird, wenn auch der Meister 
tot ist; daher müssen sie die Hydriatik selbst verdächtigen“. 
Wie sich die nächste Umgebung zu Prießnitz stellte, ersehen wir aus 
folgenden Kobbe’schen Mitteilungen: „Hie Undankbarkeit ist der Passagier, 
der dem Gutherzigen am meisten aiif seinem Lebenswege in allerlei Costümen 
begegnet. Aber so viel ist gewiß, daß Prießnitz das allersehönste Lied 
davon zu singen weiß. Ja, es geschieht ihm sogar das Ungewöhnliche, daß 
die, die noch abhängig von ihm sind und seine Wohlthaten genießen, ihn 
nicht anerkennen und sogar lästern. Es sind sehr wenige Freiwaldauer 
Bürger, die Prießnitz Rat bei Krankheitsfällen einziehen; sie wenden sich 
vielmehr an die beiden Barbiere, hier „Boktoren“ genannt, von denen der 
Eine das große Unglück hat, selbst an die Heilkraft des Wassers zu glauben.“ 
Mit der Zeit ist allerdings das Bild ein freundlicheres geworden. In 
dem Beileidsschreiben, das der Freiwaldauer Gemeinderat mit sämtlichen Unter 
schriften beim Tode des Prießnitz an die Witwe richtete, wird er der 
Unvergeßliche und Unerreichte genannt, dem die Stadt und Umgebung ihre
	        
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