Volltext: Der Naturarzt 1894. (1894)

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noch vor dem Mittagessen in ganz kleinen Portionen zwei Glas; aber bei 
Tische gewöhnlich gar nichts, sondern erst nach 1—2 Stunden. Doch glaube 
ich, daß das Jeder an sich ausprobieren muss; denn Beobachtung thut not!“ 
In dem Buche: „Grundzüge der Hydrotherapie“ (1850) spricht C. W. 
Stuhl mann an mehreren Stellen von den Luftbädern, wie er sie 1846 in 
Gräfenberg kennen gelernt. Sein Freund Matecki spaltete sogar bis in den 
Spätherbst hinein unmittelbar nach dem Douchen auf einer 100 Fuß hohen 
Felsklippe im Gräfenberger Walde im Adamskostüm Holz. Solche Extra 
vaganzen, die Frießnitz nicht gut hieß, machte auch Hausse zuerst mit; 
denn Stuhlmann erzählt („Hausblätter“ von F. W. Hackländer und Edmund 
Hoefer), daß er ihn auf dem Mecklenburgischen Gute B. zuerst als „Luft 
badenden“ kennen gelernt und mit ihm dann nach dem Bade im See stunden 
weit nackt über die Haide gelaufen sei. Die Bausse’schen Schneebäder 
machten den gesunden Stuhlmann leidend. Nach solchen Unsinnigkeiten 
wollte Hausse nie mehr etwas von einem Luftbade wissen und griff Prießnitz 
sogar wegen des Barhaupt- und Barhals-Gehens an. Stuhlmann sagt: „Eine 
Thatsache ist es auch, daß die Leute, welche in Gräfenberg fleißig Luft 
bäder nehmen, d. h. längere Zeit nackt im Walde umherpatrouillieren oder 
Holz hacken, sich bald insgesamt einer eisenfesten Muskulatur und einer 
rosigen Hautfarbe erfreuen, während auf dem bloßen Körper getragene Wolle 
in kurzer Zeit die kräftigste Muskulatur weich und schlaff werden läßt und 
eine krankhafte gelbe Färbung der Haut erzeugt .... 
Ein Luftbad besteht darin, daß man nach einem Bade nicht sofort 
wieder in die Kleider schlüpft, sondern sich kürzer oder länger ganz nackt 
der Luft aussetzt. Kräftige Menschen können die Abtrocknung ganz und 
gar der Luft überlassen. Nie sollten die Luftbäder jedoch genommen werden, 
wenn sie den Kranken sehr unangenehm berühren.“ — 
Auch die Unterleibsmassage im Sitzbade war, wie wir gesehen haben, 
in ihren Grundzügen bei Prießnitz vertreten. Frau Hipper erzählt mir hierzu 
folgendes noch: Sie habe in ihren Entwickelungsjahren lange Zeit den ganzen 
Tag am Magenkrampf gelitten, und keine Kurform wollte anschlagen. Da 
verordnete ihr der Vater täglich zwei abgeschreckte Sitzbäder von 20 Mi 
nuten. Sie selbst mußte sich den Unterleib kräftig frottieren, und die 
Badedienerin mußte es auf dem Hücken thun. Nach 8 Tagen trat Besserung 
ein, nach 14 Tagen Heilung; doch bildete sich in der Magengegend ein 
Eiterausschlag, der sich immer mehr ausbreitete und fast ein Jahr lang 
anhielt. Während dieser Zeit wurde stets eine feuchte Leibbinde getragen. 
Ich habe mich oftmals gewundert, daß man in den Naturheilanstalten 
auf die Prießnitz’sche Leibbinde (Neptunsgürtel) während des Tages ganz 
verzichtet. Es giebt doch für Unterleibsleidende keine bessere Kurform als 
einen feuchtkühlen Leibumschlag (aus grobem Leinen nach Gräfen 
berger Art) während der Spaziergänge! Aber Frießnitz ging seiner 
Zeit noch viel weiter. Leider ist diese Prozedur nach seinem Tode fast 
ganz in’s Vergessen geraten — ich meine die „Wandereinpackung“. Ich 
glaube kaum, daß ein Leser jemals etwas davon gehört hat. Bei Bücken 
markleidenden, bei Hautübeln (Flechten) und bei hartnäckigen gichtischen 
Ablagerungen an Händen und Füßen gab Frießnitz in bestimmten Fällen 
Wandereinpackungen. Der Patient wurde am ganzen Körper, von den 
Zehenspitzen bis ans Kinn, in feuchte Leinwand gehüllt. Man bediente 
sich zu diesem Zweck des nassen Hemdes und nasser Unterhosen (gut 
ausgewunden) aus grobem Leinen. Darüber kam eine Flanellschicht und dann 
erst die gewöhnliche, warme Kleidung. Die Füße staken in hohen Schaft 
stiefeln, die Hände in muffartigen Handschuhen. So gingen die betreffenden 
Patienten spazieren und erhielten später eine Abkühlungsprozedur. Das Bild, 
welches den Baron von Knobelsdorf in dieser Wandereinpackung zeigt, ist 
nicht ohne Humor. Man wähnt einen Lappländer vor sich. In einzelnen 
Fällen ließ Prießnitz nur Hände und Füße feucht einpacken. Darüber 
zogen dann die Goldbarone Hand- und Fuß-Schuhe aus Seehundsleder.
	        
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