Volltext: Der Naturarzt 1894. (1894)

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Die bei der Muskelarbeit gebildeten Stoffe werden vom Blut- und 
Lymphstrom weggeschwemmt, das vom Herzen zuströmende Blut führt 
neuen Baustoff und neues Brennmaterial zu. Man darf daher den Blutstrom 
durch engliegende Kleidungsstücke (Bänder, Gurte, enges Schuhwerk) nicht 
hemmen. Je freier das Blut herbeiströmt, desto mehr kann der Muskel 
leisten. Aber auch bei genügender Blutzufuhr vermag das Blut die Zer 
setzungsstoffe nicht vollständig wegzuspülen, nicht genug neues Material 
herbeizuschaffen. Wir ermüden dann und müssen dem Körper eine Zeitlang 
Buhe gönnen, damit er beides bewirken kann. Uebermässige Thätigkeit 
ohne Buhepausen reibt den Körper auf, Thätigkeit und Buhe im Wechsel 
erhalten die Muskeln leistungsfähig. 
Wird ein gebrochenes Glied lange nicht gebraucht, oder durch einen 
lange liegenden festen Verband (Gipsverband) die Blutzufuhr gehindert, 
so können die Muskeln nicht genügend ernährt werden. Die Zahl ihrer 
Fasern vermindert sich, sie werden dünn und schlaff (Muskelschwund). 
Das Zusammenziehen der willkürlichen Muskeln wird durch 
Nerven bewirkt, die zu Millionen vom Gehirn und Bückenmark wie feinste 
Telephondrähte durch den ganzen Körper laufen, in jede Muskelfaser 
eintreten (Fig. 24) und sie veranlassen, sich zusammenzuziehen. Vom 
Sprechapparat des Telephons aus kann man entfernten Personen blitz 
schnell seinen Willen kund thun. Mit derselben Schnelligkeit erteilt das 
Gehirn vermittelst der Nervenfäden den Muskeln den Befehl, sich zu 
sammenzuziehen und dadurch diese oder jene Bewegung einzuleiten. Das 
Gehirn ist der Sprechapparat, die Nerven die Leitungsdrähte, die Muskel 
fasern die Hörstellen. Genaueres darüber wirst du später noch erfahren. 
Trittst du ins Helle, so ziehen sich die Muskeln, die um die Pupille des 
Auges liegen, zusammen. Diese verkleinert sich. Es gelangt nicht mehr 
Licht ins Auge, als nötig ist. Kommt uns etwas in die Unrechte Kehle, so 
ziehen sich die Muskeln, die das Husten bewirken, blitzschnell 
zusammen. Wir husten dann so lange, bis das Krümchen, der 
Tropfen Flüssigkeit ausgehustet ist. Diese Bewegungen werden auch 
vom Gehirn aus befohlen, der Vorgang kommt uns aber nicht zum 
Bewusstsein; die Bewegung erfolgt ohne unser Zutun, rein automatisch. 
In den meisten Fällen aber, wo es sich um Bewegung handelt, wirkt 
unser Wille mit. Das Kind sitzt und liest. Die Mutter ruft es. Ist das 
Kind ungehorsam, so will es nicht gehen, achtet nicht auf das Bufen und 
bleibt sitzen. Jetzt ruft der Vater. Das Kind fürchtet, bestraft zu werden, 
wenn es nicht gehorcht, und entschliesst sich, zu gehen. Sein Gehirn er 
teilt den Muskeln, die das Gehen bewirken, die nötigen Befehle. Sie 
ziehen sich daraufhin zusammen, heben und bewegen den Körper. 
Bei schweren Erkrankungen kleiner Kinder treten die Muskelzu 
sammenziehungen nicht selten als heftige Zuckungen, als Krämpfe, auf. 
Auch bei Erwachsenen können im Verlaufe schwerer Erkrankungen Krämpfe 
eintreten. Die Kranken sind dabei in der Begel bewusstlos. Zuweilen ziehen 
sich nur die Muskeln kleiner Bezirke heftig zusammen. So finden beim 
Magenkrampf heftige und daher sehr schmerzhafte Zusammenziehungen 
des Magens, beim Blasenkrampf solche der Blase, beim Wadenkrampf 
solche der Wadenmuskeln statt. Bei Kindern im schulpflichtigen Alter, 
mehr bei Mädchen als bei Knaben, tritt zuweilen Veitstanz auf. Das 
Kind kann nicht ruhig sitzen, schreibt schlechter als sonst, schneidet 
Grimassen, lässt dies und jenes aus den Händen fallen, macht gegen seinen 
Willen die wunderlichsten Bewegungen. Auch hier haben wir es mit
	        
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