Volltext: Der Naturarzt 1892 (1892)

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mit Wasser und noch dazuA'mit Wasser von niederen Temperarurgraden.^ Es 
ist und bleibt Kneipp's Verdienst, der Naturheilmethode wiederum gezeigt zu 
haben, daß man mit Wasser selbst in seinen kältesten Temperaturgraden ebenso 
gute, wenn nicht bessere Erfolge bei chronischen Zuständen erzielt, als mit der 
ermattenden und den Organismus zu sehr aussaugenden Form des Dampfes. 
Die Form der Wasteranwendungen ist aber keineswegs eine Erfin 
dung von Kneipp, sondern sie ist mit der alten Gräfcnberger Kur säst voll 
ständig identisch. Prießnitz, wie auch Kneipp nehmen das Master, wie es ihnen 
die Natur bietet; die einzelnen Wörishofener Güsse entsprechen voll und ganz 
den Gräfcnberger Röhrendouchen. In Gräfenberg ging man zu Prießnttz's 
und Schindler's Zeiten nicht nur barfüßig, sondern auch barhäuptig. Die 
Kneipp'schen Wickel entsprechen den Umschlägen und Einpackungen, wie sie zu 
allererst Prießnitz angewandt hat. 
Ob Prießnitz und Schindler — wir konnten es in keinem der vorliegen 
den Bücher über Gräfenberg finden — nach einer Wasseranwendung nicht ab 
trocknen ließen, oder ob cs Kneipp'sche Erfindung ist, will ich nicht entscheiden?) 
Dagegen wurde bei Prießnitz und Schindler bei niedriaer Temperatur nicht 
nur eine kurze, sondern auch eine lange Zeitdauer gewählt, was aber Kneipp 
nicht zugestehen will, da er die Zeitdauer bei solchen Formen nur nach Se 
kunden bemißt. 
Da man immer nur von Kneipp'scher Kur heutzutage spricht, wobei man 
die Vorstellung hat, als ob dieser ein ganz neues bisher von niemandem ange 
wendetes Verfahren ersonnen hätte, glaubte ich es den Manen eines Prießnitz 
und Schindler schuldig zu sein, den historischen Wert der Kneipp'schen Kur 
durch Gegenüberstellung der Gräfenberger Methode ins rechte Licht zu setzen. 
Wie ich nun mehrfach ausgeführt habe, wendet Kneipp das Master nur 
in der Temperatur an, wie es die Natur bietet. Warmes Master ohne Zu 
sätze giebt es in Wörishofcn nicht. Kneipp versteht unter milder Anwen 
dungsweise: Abwaschungen, Knie-Schenkelguß und Wassertreten; aber alle diese 
Prozeduren nur von ganz kaltem Master. Ob dieses Verfahren ein mildes ist, 
bald zu Anfang der Kur sich mit 8—4° behandeln zu lasten, überlaste ich dem 
Urteil der Patienten. Es gehört ein wahrer Heroismus von seilen der Kranken 
dazu, bald anfangs so niedrige Temperaturgrade zu ertragen. Wenn man 
Gelegenheit gehabt hat, in Wörishofcn bleichsüchtige, blutarme, herabgekommene 
Individuen mit solch niedriger Temperatur behandeln zu sehen, wenn man hat 
beobachten können, wie solche Patienten, vom Schüttelfrost hin und her ge 
worfen, kaum sich haben aufrecht erhalten können und unfähig waren, sich 
selbst anzuziehen, dann kann man gewiß mit vollem Recht behaupten, daß diese 
Anwendungsform des Masters bei solchen Individuen gegen das erste, schon 
seit Jahrhunderten geltende Gesetz bei der Behandlung, gegen das jueunäs 
(auf angenehme Weise behandeln), verstößt. Es ist jedem mrt den wissenschaft- 
*) Das Nichtabtrocknen ist ebenfalls Prießnitz'sche Erfindung. Prießnitz nannte es 
es „Luftbad" und erreichte durch dasselbe einen viel größeren Erfolg als Kneipp. In Gräfen 
berg ist es so: Wenn ein Kranker aus einem Halb- oder einem Vollbade oder einer Ganz- 
abreib mg (Lakenbad, Luftwasserbad ,'c.) kommt, so wird ihm vor weit geöffnetem Fenster, 
(auch im Winter!) ein großes trockenes Leinentuch umgeworfen. Die vorderen beiden Zipfel 
erfaßt er, die unteren der Badediener — und nun wird 2—5 Minuten energisch Last gegen 
den nassen Körper geweht. Der Körper trocknet also hier durch mächtigen Luftzug und durch 
die vom arbeitenden Körper aufgebotene Wärme. Bei dieser Kurform kommt es nicht vor, 
daß wie bei Kneipp'fchem Nichtabtrocknen blutarme Kranke stch nachher stundenlang nicht 
erwärmen. Wer dann in seine Kleidung schlüpft, ist schon warm über und über. Leider ist 
Prießnitz und feine Kur nicht mehr — modern! Das Gute ist ewig, es wechselt nur den 
Namen. Die Redaktion.
	        
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