Volltext: Der Naturarzt 1890 (1890)

Uber Naturheilkunde. 
Von Dr. m6ä. Christoph Freiherr von Hartungen rn Riva am Gardasee. 
In unserem Jahrhunderte der Elektricität, der fabelhaften Erfindungen, 
des Materialismus und der „exakten Forschung" konnte auch oas altehrwürdige, 
geheiligte und daher unantastbare Gebiet der Heilwissenschaft nicht von dem 
streng kritischen und unbeugsamen Machtspruche der „reinen Vernunft" verschont 
bleiben, und Schranke um Schranke fiel; die mächtigen Axthiebe des gesunden 
Menschenverstandes drangen immer tiefer ein in das Mark des morschen Baumes, 
und schließlich wurde die ganze alte Medizin über Bord geworfen und eine neue, 
auf anatomische und physiologische Thatsachen aufgebaute, entstand aus den 
Ruinen. Aber auch hier blieb die Heilkunst nicht stehen, denn auch der Laie 
fühlte sich im 19. Jahrhundert berechtigt, in dieser Wissenschaft, die seinem 
Wohl und Wehe so nahe ging, ein Wörtchen dreinzureden und dem bisher 
unumschränkten Herrn über Leben und Tod seiner Mitmenschen ein wenig in 
die Karten, bezw. Recepte zu gucken, oder ins Handwerk zu pfuschen. 
Dieser Wissensdurst, der Alle ergriffen hatte, rief eine Unmasse guter und 
schlechter volkstümlicher Medizin-Litteratur hervor, und damit wurde der allge 
meinen vernünftigen und unvernünftigen Kritik Thür und Thor geöffnet. 
Hierzu gesellten sich die mit beißender, ätzender und zersetzender Satire geschrie 
benen Werke eines Dr. Rauffe gegen die Jünger Aesculaps und ihre Kunst, 
der offenherzige, unerbittliche „Nihilismus in der Medicin" eines Dr. Strudel, 
das beobachtende Verfahren eines Professor Skoda, welche den felsenfesten 
Glauben der Laienwelt in die Heilsäfte und die Mischungen der Apotheke 
erschüttertenund eineFlut vonkcitisierendenWerken gegen dieherrschende allopathische 
Heilweise hervorriefen. Das Vertrauen in den im Laufe der Jahrhunderte zu 
einem ungeheuren Wust von teilweise nutzlosen, teilweisezu heroischen und 
daher oft schädlichen Heilmitteln angewachsenen Arzneischatze schwand immer 
mehr und mehr bei der Laienwelt, und der Arzt verschrieb daher von Jahr zu 
Jahr weniger, und auch dann oft nur „nt aliquid fieri videatur, oder solatii 
gratia, oder ufc aliquid habeat aeger“. (Damit man sieht, daß etwas dagegen 
gethan wird; um Trost zu gewähren; damit der Kranke nur etwas bekommt)! 
In gleichem Maße aber gewannen die meist von Laien wieder entdeckten 
und zuerst angewendeten Heilmethoden mit Wasser, Diät, Massage immer mehr 
Boden auch in der wissenschaftlichen Medicin, und man kann es voraussagen, 
daß in nicht allzu ferner Zeit die „Physiatrische Therapie" (Naturheil 
kunde) die „Chemiatrische" (Medicinheilknnde) fast ganz verdrängen wird. Die 
alte „via medicatrix naturae“ (Natucheilkcaft) kommt wieder immer mehr zu 
Ehren, und nun gibt es wohl kaum einen Arzt mehr, der unbescheiden genug 
wäre, dem uralten Erfahrungssatze: „Natura sauat, exoticus curat“, (die 
Natur heilt, der Fremde hilft) zu widersprechen. Nach diesem Grundsätze 
aber kann und darf es die Aufgabe des Arztes nur sein, diese jedem Lebe 
wesen innewohnende „Naturheilkraft" zu unterstützen, zu stärken durch Ver 
setzung des Körpers in die bestmögliche, den Naturgesetzen entsprechende Ver 
fassung. Dies erreicht er aber viel sicherer und eher mit Hilfe der Naturheil 
mittel: Luft, Wärme, Wasser und naturgemäße Diät, als mit jenen oft trügerischen, 
dem Körper fremden und daher oft schädlichen pflanzlichen und mineralischen 
Stoffen. Leuchtete dies auch schon ohne weiteres ein, so kamen hierzu noch 
die großartigen, fast unglaublichen, überaus zahlreichen Heilerfolge mit Hilfe 
jener einfachen, natürlichen Mittel, und so konnte es nicht fehlen, daß gegen 
wärtig selbst die Koryphäen (Größen) der Wiener medizinischen Schule, darunter
	        
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