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bei Pferden diese „Neubildung von Muskelfleisch" sogar in verhältnißmäßig großer
Masse beobachtet und in meinem Buche „Die Bein- und Hufleiden der Pferde" bereits 1883
veröffentlicht. Auch Professor Dr. med. Otto Weber führt an, daß es sowohl bei der einfachen
Trennung, als bei der Vereiterung von Muskeln zu der Neubildung quergestreifter
Fasern komme,* während die Neubildung längsgestreifter Muskelfasern schon früher in der
Chirurgie nicht bestritten wurde. Ist daher die kühne Behauptung des Herrn Recensenten,
daß es „Neubildung von M.uskelfleisch nicht gebe", nicht lediglich ein Ausfluß seiner
Unwissenheit, so könnte hier nur ein starker Rückschritt der Chirurgie eben in Folge der
anliseptischen Wirkungen ätzender Chemikalien vorliegen. —
Daß die Heilung des Krebses ohne Operation dem Herrn Recensenten nicht
imponiert, ist nicht meine Schuld. Das ist Geschmackssache, ihm imponieren vielleicht die
„Nichtheilungen" desselben „trotz Operation" mehr, a la Mackenzie! Wenn er aber
meint, daß „Krebse", welche bei „richtigem naturgemäßem Heilverfahren" heilen,
ebenso gut durch Brandts Schweizerpillen, Bocks Pectoral, Jacobi's Königs
trank und Mümmelmanns Universalthee" heilen, so wollen wir ihm diesen unschul
digen Kinderglauben nicht rauben. Vielleicht bleiben sie wenigstens gerade so „ungeheilt"
wie der jetzt viel besprochene von Virchow diagnosticierte Krebs des 70jährigen Mecklenburgers,
der sich durch ein „homöopathisches Heilverfahren" mindestens geheilt fühlt und von
seinem „Krebs" nichts mehr spürt. Möglich, daß er dabei noch 80 Jahre alt oder älter
wird und das Glück hat, „anderweitig" zu sterben! Immer besser, als an der „glücklichen
Operation" des Krebses.
Nun soll ich der „Armeeleitung den schweren Vorwurf der Indolenz gemacht
haben", weil ich nach meinen Feldzugserfahrungen von 1866 und 1870—71 eine Unter
schätzung richtiger „Hautpflege" und eine „Ueberschätzung" des sog. chirurgischen
Teils der Behandlung" wahrgenommen zu haben glaube.
Ich muß diese Beschuldigung als eine ganz ungerechtfertigte Unterschiebung auf
das Entschiedenste zurückweisen. Ich habe der „ArmeeLeitung" mit keinem Worte
gedacht, und bin weit entfernt, die „Armeeleitung" für irgend welche Irrtümer der
„medizinischen Wissenschaft" verantwortlich zu machen. Nur mit diesen Irrtümern
habe ich es zu thun und werde mich in der Bekämpfung derselben durch die boshafte Unter
stellung: „diese Irrtümer hätten den guten Glauben der „Armeeleitung" für sich, folglich
seien sie keine Irrtümer, sondern geheiligt", durchaus nicht irre machen lassen. Die
„Armeeleitung" ist für die heutige „chemisch-antiseptische Behandlung" ebenso wenig
verantwortlich, wie für die ehemaligen Aderlässe, Brechmittel, Salbenbehandlungen,
für die Zusammenlegung der Cholerakranken 1866, die später mit dem größten Erfolge
durch die Zerstreuung ersetzt wurde u. s. w. u. s. w. Die Armeeleitung folgt eben der
„Beratung durch die Wissenschaft", sie, die „Armeeleitun g", wird von dieser, der
Wissenschaft, gedeckt, nicht umgekehrt.
Durch jene Recensenten-Logik aber kämen wir zu bösen Folgerungen! Da wäre es
wohl Vaterlandsverrat, den traurigen Irrtum zu bekämpfen, daß die Blutvergiftung, genannt
Kuhpockenimpfung, vor den Blattern schütze? weil wir — leider — ein deutsches Impf-
gesetz haben, dem dieser Irrtum als Grundlage dient! Wir meinen umgekehrt, es wäre
Vaterlandsverrat, einen solchen in fast 100jähriger Erfahrung und in Millionen von Fällen
erkannten Irrtum nicht aufs rücksichtsloseste zu bekämpfen.
Wenn der Herr Recensent nun auf die „Kriegssanitätsordnung" von 1878
verweist, welche „auf jeder Seite immer und immer wieder Reinlichkeit und gute Luft
betone, so vergißt er zunächst gänzlich, daß diese Ordnung von 18 7 8 im Jahre 18 6 6
und 1870 — 71, wo ich meine Kriegserfahrungen machte, noch nicht wohl in Kraft
sein konnte. Aber auch nach 1878 scheint es mit dem „Betonen" nicht gethan, es sei denn,
daß eine durck und durch mit Karbolsäure geschwängerte Luft als „rein" gelten sollte.
Was dieser Karbolsäuredust in Krankeusälen anrichtet, darüber ließe sich noch recht viel
Thatsächliches beibringen.
Ich habe nun aber in meiner Schrift gar nicht über den „Mangel an frischer
Luft und Reinlichkeit", sondern über den Mangel an „Hautpflege" gesprochen. Die
1866, wie 1870—71 gemachte Erfahrung, daß leicht und schwer Verwundete Wochen, ja
viele Wochen lang lagen, ohne einer Körperwaschung teilhaftig zu werden, dürfte meine Aus
sprüche hinreichend bestätigen. Damit dieser Uebelstand, der sicherlich in erster Reihe in
Mangel an pflegenden Personen seinen Grund hatte, in künftigen Kriegen anders werden,
glaube ich den richtigen Weg dazu durch den Vorschlag, die leicht Verwundeten zur gegen
seitigen, wie zur Pflege der Schwerverwundelen nach Maßgabe oer Umstände anzuleiten
und heranzuziehen, angedeutet zu haben.
Nun folgt die ebenso unwahre, wie gehässige Beschuldigung, ich „hetze förmlich
gegen die operationslustigen Aerzte". Ich bin in durchaus objektiver Weise gegen die
*) Allg. u. spez. Chirurgie von Pitha, Billroth rc. Erlangen 1865. I. S. 270.