Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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Obwohl ich nun vollständig mit mir einig war, welcher von den Behandlungs 
methoden ich in meiner Praxis den Vorzug geben wollte, benutzte ich die 
während meiner Dienstzeit als Einjährig-freiwilliger Arzt mir reichlich übrig 
gebliebene Zeit und studierte nochmals die mir zu Gebote stehende Litteratur 
der Wasserbehandlung. Zudem wurde ich in dieser Zeit Mitglied des Breslauer 
Vereins für naturgemäßes Heilverfahren und lernte auf diese Weise erst die 
einzelnen Heilfaktoren dieser Methode kennen. 
Mit weit mehr Sicherheit, als wie es das erste Mal geschehen war, ging 
ich nun in meine eigene Praxis. Die Verhältnisse in Dyhernfurth für einen 
zweiten Arzt lagen verhältnismäßig günstig, und so kam es, daß ich in nicht 
zu langer Zeit eine recht gute Praxis hatte. Da ich aber hierher mit der 
festen Absicht gekommen war, nur mit den Heilfaktoren der Naturheilmethode 
meine Kranken zu behandeln, mußte ich viel, ja recht viel Unannehmlichkeiten 
anfangs mit in den Kauf nehmen. Der hiesige ältere College behandelte neben 
reichlicher Medizinverschreibung mit warmen Breiumschlägen — mochte die 
Entzündung noch so bedeutend sein — mit Aderlässen, Schröpfköpfen, Pflastern, 
Einreibungen rc. Da bald nach meiner Anknnft in Dyhernfurth eine große 
Menge an Lungenentzündung erkrankte, behandelte ich dieselbe naturgemäß, 
mußte mich aber bequemen, wollte ich meine Praxis nicht von Anfang an unter 
graben, jedem Kranken etwas zu verschreiben.* 
Wiewohl ich die Einpackung, die Waschung rc. im Anfang meist selbst 
machte, mußte ich doch sehen, wie meine Anordnungen fast nirgends befolgt 
wurden. Als aber der Zustand der jeweilig Erkrankten sich natürlicherweise 
verschlimmerte, und ich auf meiner Anordnung bestand, wurde alles so gemacht, 
wie ich es wünschte. Da natürlicherweise die Kranken ..trotzt der Wasser 
behandlung „genasen und selbst solche", die von meinem Collegen bereits auf 
gegeben waren, faßte man im Städtchen endlich zu dieser Behandlungsmethode, 
wenn auch mit Widerstreben, mehr Vertrauen. Mir aber trug die Behandlungs 
weise in kurzer Zeit den Namen „Wasserdoktor" ein. 
War es unter den gegebenen Verhältnissen schon schwierig, im Städtchen 
mein Heilverfahren in Geltung zu bringen, umso größer waren die Hindernisse 
auf dem Laude und das Wiederstreben seiner Bewohner. Wird nämlich daselbst 
jemand von einer akuten Entzündung krank, so werden sofort alle Fenster fest 
verschlossen. Zwei bis drei dicke Federbetten werden auf den Patienten gelegt, da 
mit beim Thüraufmachen ja kein Lüftchen den Kranken trifft; sodann wird nach 
der „klugen Frau" im Orte, wenn solche vorhanden, oder nach dem „Schäfer" 
im Nachbarorte geschickt. Die Verordnungen dieser Sorte von Leuten bestehen: 
in Aderlässen, Schröpfköpfen, Hacken (Einschnitte in die Haut mit einem 
schmutzigen, scharf sein sollenden Rasiermesser), und nachdem dies geschehen, wird 
um den kranken Teil in seinem Gesammtumfange ein selbstzubereitetes Pflaster 
gelegt. Da nun in den meisten Fällen, wie ja allen Naturheilkundigen bekannt, 
bei sonst kräftigem Organismus die Natur den Entzündungsproceß selbst 
bezwingt, genießeir die Schäfer, die natürlich die Heilung des Kranken auf ihre 
Rechnung setzen, bei den Landleuten ein fast unbedingtes Vertrauen. Und erst 
dann, wenn der Schäfer sagt, hierbei kann ich nichts mehr thun, wird nach 
dem Arzt geschickt. 
Natürlicherweise fanden hier meine Anwendungsformen den allerlebhaftesten 
Widerstand. Wasser, und noch dazu kaltes, mußte nach ihrer Ansicht den 
unausbleiblichen Tod zur Folge haben. Da dieser aber durchaus nicht eintreten 
*) Die allbekannte Thatsache: der am meisten verschreibende Arzt ist der beste und 
umgekehrt. Frage: Wann werden die Mediziner mit Wasser kurieren? Antwort: Erst, wenn 
sich das Volk nicht mehr dagegen sträuben wird. Die Red.
	        
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