Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

Da die Breslauer Klinik die Diätetik und die Wasserbehandlung durchaus 
nicht uuter ihre Heilfaktoren zählt, begab ich mich nach Erlangen, in der 
sicheren Erwartung, vielleicht hier die Hydrotherapie im Bunde mit der Medizin 
ihr Scepter schwingen zu sehen. Und in der That, ich hatte mich nicht getäuscht. 
Hier war es vornehmlich Leube — die größte Autorität auf dem Eontinent 
für Magenkrankheiten — welcher bei dieser Art Kranken das Naturheilverfahren 
in gewisser Form zur Anwendung brachte und jetzt auch noch in Würzbnrg 
zur Anwendung bringt. Ich habe nie gesehen, daß Magenkranke, deren es fast 
aus allen Erdteilen in unserer Klinik gab, auch nur ein einziges Medikament 
verabreicht erhielten. Für diese hatte Leube eine eigene Küche errichtet, deren 
Prinzip vor allem darin bestand, die Speisen in der verdaulichsten, also am 
wenigsten fetten Form dem Magen einzuverleiben. Dazu kamen noch Vollbäder 
mit indifferenter Temperatur; doch schienen diese nach meinem damaligen Ver 
ständnis nur gewissermaßen eine Zugabe zu sein. Was die Behandlung der 
anderen Krankheiten anbetraf, so ist hier wie anderswo, die Klinik nur Probier 
stein für die neueren Medikamente gewesen; allerdings nicht in der schroffen 
Form, wie es anderwärts geschieht, da der Wasserbehandlung immerhin ein 
ziemlich großer Spielraum gelassen wurde. Den sonst erhobenen Vorwurf, 
..wenn die Mediziner Wasser anwenden, dann wenden sie es gewöhnlich auch 
falsch an", muß ich freilich auch hier gelten laffen. Denn wenn neben der 
unvermeidlichen Eisblase die Bäder in Anwendung kamen, so war ihr Gebrauch 
nach den in der Naturheilmethode herrschenden Grundsätzen ein verkehrter. Wohl 
sah ich bei Brustfell-, Lungen- und ähnlichen Entzündungen zwei- bis dreimal 
des Tages die Kranken in die Bäder fahren, aber die Temperatur betrug 
immer 24- 26° K., eine Temperatur, wie sie notwendigerweise auf die Ab 
kühlung des so erhitzten Organismus einen geringen oder gar keinen Einfluß 
haben konnte. 
Nachdem ich nun meine Prüfungen bestanden, verließ ich die Universität 
mit dem Bewußtsein, das volle Vertrauen in die rein medikamentöse Behandlung 
nicht zu haben, andererseits aber auch nicht gehörig bewandert zu sein in der 
Wasserheilmethode. In diesem Zwiespalt übernahm ich die Vertretung eines 
Collegen mit sehr ausgedehnter Praxis in der Görlitzer Haide. Letzterer über 
trug mir seine Praxis mit dem Bemerken, daß augenblicklich fast gar nichts zu 
thun sei, und daß eine epidemische Gesundheit herrsche. Doch kaum war ich 
drei Tage allein, als in vier Ortschaften eine Diphtheritis-Epidemie ausbrach, 
wie ich sie in Erlangen — welches als ein Diphtheritis-Herd bekannt ist — 
kaum ärger gesehen habe. Ich wandte also im Anfange das an, was ich in 
der Klinik gesehen und gehört hatte: Kalte Compressen um den Hals, 
Gurgelungen mit chlorsaurem Kali und Alaun, Ätzungen des Herdes mit 
Chinolin re. In wenigen Tagen hatte ich drei Todesfälle, und den anderen 
Kranken ging es nicht gerade vertrauenerweckend. Da erinnerte ich mich, in 
einem Journal einmal gelesen zu haben, daß in Berlin ein Arzt Diphtheritis 
mit Einpackungen, Gurgelungen mit frischem Wasser re. behandelte. In meiner 
Angst, — denn es ist weit unangenehmer für einen anderen Collegen, der bei 
seinen Kranken großes Vertrauen besitzt, die Praxis zu versehen, als für seine 
eigene Rechnung und Gefahr — griff ich nun zu den obigen Mitteln. Obwohl 
dort die Leute auf dem Lande — die Gegend war sehr arm — in den aller 
meisten Fällen keine Betttücher hatten, ließ ich mir Leinwandsäcke geben, zerschnitt 
dieselben und machte damit die Einpackungen. Der Erfolg, trotz der dürftigen 
Mittel, war ein durchschlagender; denn von den drei und achtzig Kranken, 
die ich nach den drei Todesfällen noch hatte, war mir keiner mehr gestorben, 
wogegen der Nachbarcollege in einigen Tagen 13 -14 Todesfälle hatte.
	        
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