Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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Die Bewegung als Heilmittel. 
Dr. med. Thiemann in Bremen. 
Die Bewegung ist ein mächtiges Unterstützungsmittel der Wasserkure«. 
Eben so gut als seiner Organe sonst, muß sich der Mensch auch seiner Glied 
maßen, seiner Muskulatur in der gehörigen Weise bedienen und sich überhaupt 
auch in dieser Richtung Tag für Tag bethätigen, will er anders gesund bleibe» 
und sich das einmal unentbehrliche Gleichgewicht zwischen Körper und Geiß 
erhalten. Leibesübungen und Bewegungen müssen in sachgemäßer Reihenfolge, 
einerseits mit geistiger Thätigkeit, anderseits mit Erholung und völliger Ruhe, 
abwechseln. 
Mit einem Unterlassen der Bewegungen und körperlichen Thätigkeit pflegt 
früher oder später Muskelschwäche einzutreten; Innervation und Blutzufuhr, 
Ernährung. Stoffumsatz der Muskulatur leiden mehr oder weniger Not, kurz, 
es bildet sich ein Zustand aus, welcher allmählich zu wirklicher Arhrophie, 
Abmagerung der Muskelsubstanz, führen kann. Ungleich wichtiger sind die 
Folgen eines anhaltend trägen Lebens. Früher oder später kommt es nicht 
blos zu Störungen der Verdauung, des Stuhlganges, sondern auch das Atmen, 
die Ausscheidung von Kohlensäure, von Waffer durch Lungen und Haut, über 
haupt alle Ausscheidungsprozeffe werden vermindert, desgleichen die Bildung 
von Eigenwärme; der ganze Sroffumsatz, die Ernährung des Körpers gehen 
mit geringer Gründlichkeit vor sich. Dazu gesellt sich meistens eine krankhaft 
gesteigerte Reizbarkeit des ganzen Wesens, ungewöhnliche Empfindlichkeit gegen 
alle Einflüsse, wie überhaupt eine Verstimmung des Gemütslebens bei unge 
eigneter Lebens- und Beschäfligungsweise. 
Umgekehrt äußert jede Muskelthätigkeit, jede Leibesübung den günstigen 
Einfluß auf die Vorgänge im Innern unseres Organismus und somit auf 
dessen Gesundheit. Nicht blos, daß die Ernährung und Energie der motorischen 
Apparate der Muskulatur selbst dadurch gewinnt, auch für den ganzen Körper 
und Geist ergeben sich daraus die günstigsten Resultate. Im allgemeinen wird 
der Blutlaus lebhafter, beschleunigt, Atmung und Transpiration gehen leb 
hafter vor sich und mehr Eigenwärme wird gebildet. Bei einer regelmäßigen, 
fortgesetzten Bewegung wird die Muskulatur des ganzen Körpers besser ernährt 
und nimmt an Umfang und Kraft zu. 
Nicht minder bedeutungsvoll ist die Rückwirkung auf das geistig-sittliche 
Leben, zumal wenn dabei ein gewisser Zweck verfolgt, das Interesse mehr oder 
weniger gespannt wird. Während hier die Muskelanstrengung in den Vorder 
grund tritt und der Geist von anderen, besonders von ernsteren und traurigen 
Richtungen abgelenkt wird, müffen eben damit die höheren geistigen Pcozeffe 
in einen Zustand relativer Ruhe zurücktreten; Affekte, Leidenschaften können 
beschwichtigt und verdrängt werden. 
Damit die Körperbewegungen wirklichen Nutzen bringen, müffen sie dem 
Bedürfnis und den Lebensverhältniffen, wie besonders den Kräften eines jeden 
entsprechen; es muß überhaupt dabei mit einer gewiffen Umsicht und Auswahl 
vorgegangen werden. Vor allem müssen somit die Körperteile selbst, welche bei 
der Bewegung vorzugsweise in Anspruch genommen werden, gesund sein, um 
dieselbe ertragen zu können; also nicht blos die Gliedmaßen an sich, sondern 
auch Lungen, Herz u. s. w.; deshalb muß ferner auch die Leibesübung sach 
gemäß dem Umfange und der Dauer nach zugeteilt, es muß mit der leichteren 
Form angefangen und nur allmählich, mit Einhalten einer gewiffen Meihode, 
zu den anstrengenderen fortgeschritten werden, entsprechend der Entwicklung von 
Muskulatur und Gewandtheit. Ganz besonders ist aber diese Vorsicht einzu-
	        
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