Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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gut, wie aufgegeben, kehrte die so schwer Erkrankte bereits nach Verlauf von drei Wochen 
vollständig genesen nach Hause zurück. Allerdings war das ganze rechte Bein noch braunrot 
verfärbt, fühlte sich kalt an und war natürlich noch empfindlich gegen Temperatureinflüsse, 
doch konnte die Kranke, nachdem das Bein von unten auf mit gewebten elastischen Binden 
(Schlauchbinden) kunstgerecht gewickelt war, die Anstalt bequem zu Fuß verlassen. — 
Dr. med. Winchenbach. 
Ein Bericht aus dem Kurhause Reitzenhain, sächs. Erzgebirge. 
Es ist mit Berichten über Heilungen eine eigene Sache. Gewöhnlich werden die 
günstigsten, schnell verlaufenden Fälle dem Leser vorgelegt, und es wird darum leider sehr ost 
beim Kranken und dessen Angehörigen, die derartige Berichte lesen, der Glaube angefacht, daß 
alle Krankheiten mit ebenso großer Schnelligkeit durch die Naturheilkunde zur Heilung gebracht 
werden. Es giebt nur eine wahre Heilkunde, und das ist unsere unvergleichliche Natur 
heilkunde, aber Mancher würde enttäuscht sein, wenn er, angeregt durch das Lesen der ver 
schiedenen Krankengeschichten, glauben würde, daß auch er im Handumdrehen zu einem gesunden 
Menschen umgewandelt werden könne. Die Gesundheit will erkämpft sein, und der Kampf 
dauert gewöhnlich bei chronischen Krankheiten nicht Wochen, sondern Monate, ja Jahre. 
Viele, die jetzt in alter, urwüchsiger Kraft wieder dastehen, haben einen siebenjährigen Krieg 
gegen ihre Krankheit führen müssen. Wer ausharret, wird gekrönt ! 
Vor einigen Jahren wollte ein Herr von mir in 3 — sage drei Tagen von einem 
10jährigen schweren Magenleiden befreit sein. Ein Rückenmarkskranker wollte in 8 Tagen 
so weit sein, daß er wieder kleine Strecken zurücklegen könne! Ich meine, wir Naturheil- 
kundigen sollten nicht blos diejenigen Fälle veröffentlichen, deren Heilung an das Wunderbare 
grenzt (und solche Fälle giebt es glücklicherweise sehr viele), sondern wir sollten insbesondere 
solche Fälle zu Gehör bringen, wo es sich der Kranke und der Arzt recht sauer werden laffen 
müssen, um nach und nach ein Stück Gesundheit um das andere zu ertrotzen. 
Ja, wir sollten auch solche Fälle veröffentlichen, die nicht mit günstigem Verlaufe 
endigen, damit auch Andere forschen können, wo die Schuld lag. Vielleicht lag diese Schuld 
bei dem behandelnden Arzte (warum sollte man sein Irren nicht eingestehen?), oder sie lag 
in der Umgebung, in der Widerspenstigkeit des Patienten, oder in der zu geringen Lebens 
kraft desselben. Will man aber nur günstig verlaufende Fälle berichten, so muß der Patient 
auch nach seinem Abgang im Auge behalten werden, denn die Hauptsache ist: blieb auch der 
Kranke gesund, nachdem er in die alten Verhältnisse zurückgekommen ist? In sofern werden 
Krankenberichte von frischen Fällen wertlos sein; eine Zeit von 8 Wochen muß mindestens 
zwischen Beendigung der Kur und der Veröffentlichung der Krankengeschichte liegen. Daß nun 
weiter die Krankengeschichten völlig, auch bis in das Kleinste, wahr sind, versteht sich bei 
einem gewissenhaften Arzte ganz von selbst. Allerdings kann ich hier nicht unerwähnt lassen, 
daß es wohl vorkommen mag, daß Uebertreibungen in Krankengeschichten unterlaufen; der 
selige Wolbold erzählte einmal gelegentlich von einem längst verstorbenen Krankengeschichten- 
Lieferauten, welcher die einfachsten Krankheiten aufbauschte, um den Sieg desto glänzender 
erscheinen zu lassen. Wir haben wahrlich nicht nötig, für unsere Heilkunde auf diese Art 
Reclame zu machen. 
Wenn ich nun in Nachstehendem einen Fall zur Veröffentlichung bringe, so soll das 
weniger geschehen, um die Zahl der Krankengeschichten zu vermehren, sondern um zu zeigen, 
daß mit dem Worte „Diagnose" oft recht sonderbar umgegangen wird. Der Besitzer einer 
Naturheilanftalt, ein Dr. der Medizin, konnte nicht umhin, in einer vielgelesenen Tagesschrift 
den Unapprobierten vorzuwerfen, daß sie nicht viel leisten könnten, weil sie keine Diagnose 
zu stellen verstünden. Nun, ich will nicht untersuchen, wer die Steine zu dem herrlichen Ge 
bäude, das man Naturheilkunde nennt, zusammengetragen hat. Ich will nicht untersuchen, 
wer die wirklich brauchbaren Neuenrngen uns gebracht hat; ich will nicht untersuchen, wie 
die Männer heißen, auf deren Rücken Approbierte und Unapprobierte hinaufklettern, aber eins 
scheint mir, den Unapprobierten erwächst eine nicht kleine Gefahr, nicht von Seiten der Mediziner, 
sondern von Seiten der Herren Approbierten, welche glauben, das Naturheilverfahren allein 
richtig ausüben zu können. 
Ich will nun hier gleich angeben, daß ich (und wohl die meisten meiner Kollegen) 
nicht sage, eine Diagnose sei unnötig. Ich bin der Ueberzeugung, daß vor der Behandlung 
eines Kranken eine genaue Untersuchung desselben stattzufinden hat, und daß aus dieser 
Untersuchung die Diagnose schon um der Prognose willen gestellt werden muß. Leider aber 
ist das Wissen der Professoren ebensowohl, als des des einfachsten Dorfarztes doch manch 
mal noch recht mangelhaft. Ein Herr, den ich vor Kurzem kennen lernte, ist, seiner Schmerzen 
in der Herzgegend wegen, von Professoren, königlichen Leibärzten, Anstaltsdirigenten, ge-
	        
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