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7 Uhr die Hitze, welche bis 11 Uhr steigt; sie klagt täglich mehr über Rücken-.
Rippen-, auch Magenschmerz, weiters auch über Druck und Beängstigung in
der Brust; heute hatte sie auch morgens Fieber von 38,3°. Appetit seit zwei
Tagen sehr wenig. Um bestimmter zu wissen, welcher Krankheitszustand vor
liegt, haben wir unseren Hausarzt, Dr. H. rufen lassen. Derselbe findet meine
Schwester hoffnungslos an Tuberkulose erkrankt, infolge eines „Riesenexsudates",
welches bereits die linke Rückenseite und auch ein Stück der linken Vorder
seite ergriffen hat. Giebts da keine Rettung auf hydropathischem Wege? Der
Auswurf ist entweder stark gelb oder wcißschäumig. Das Herz ist infolge
der Ausschwitzung nach der Mitte des Magens verschoben, daher die Magen-
schmerzen. Der Doktor ist mit Ihrer Kur einverstanden, hat aber keine
Hoffnung für das Auskommen der Kranken. Puls heute Abend 5 Uhr 120, um
10 Uhr 90 Schläge; Fiebcrgrad 38,9. Das sich steigernde Fieber zeigt deutlich
die Tuberkulosen - Entwickelung in der Ausschwitzung. Bitte sofort eine
telegraphische Mitteilung, wann Sie kommen können."
Was nun thun? Sollte ich unter diesen Umständen die Behandlung
ablehnen, da doch voraussichtlich auch bei dieser der Fall tödlich verlaufen
würde? War nicht zu fürchten, daß man dann wieder die Naturheilmethode
für den unglücklichen Ausgang verantwortlich machen werde? Das Be
wußtsein, bei den zahlreichen vorurteilsfrei denkenden Verwandten wenigstens
Verständnis zu finden, bestimmte mich endlich, nicht abzusagen. Ich reiste am
20. September früh zur Kranken ab und pflog noch an demselben Abend mit
Dr. H. Beratung, zuerst am Bett der schwer Erkrankten und dann unter
uns allein, bezw. mit den Angehörigen. Herr Dr. H. blieb unabänderlich bei
seinem ersten Ausspruch: absolute Hoffnungslosigkeit und nahe bevorstehende
Auflösung der Kranlen. An der enormen Ausschwitzung war nicht zu zweifeln,
da dieselbe durch Beklopfen leicht nachzuweisen war; dagegen hegte ich Zweifel
an vorhandener Tuberkulose, wenngleich der Auswurf Eiter zu enthalten
schien, welcher jedoch nur gewöhnlichen Schleimgeruch entwickelte.
Die folgenden Erwägungen bestimmten mich, die Hoffnung auf Rettung
der Kranken nicht aufzugeben. Ein heftig und langwierig auftretendes Typhus
fieber ist ja eben so schlimm als die vorliegende Krankheit, und doch sterben
verhältnißmäßig wenig Typhuskranke, wenn sie von Anfang an mit Wasser
behandelt werden. Ebenso kann auch dieses heftige und anhaltende Fieber zur
Genesung führen. Da das Fieber bei Typhuskranken selten über 6 Wochen
dauert, so wird auch dieses ähnliche Fieber kaum von längerer Dauer sein.
Jedenfalls muß sich in etwa der 4. Woche die Entscheidung Herausstellen.
Die Namenstaufe der Krankheit (Diagnose) giebt uns keine maßgebende Richt
schnur für die Behandlung, sondern allein das Verhältnis der Lebenskraft zur
Menge und Eigentümlichkeit des vorhandenen Krankheitsstoffes. Ist erstere
bei naturgemäßer Unterstützung mächtiger als letzterer, so siegen wir. Wer
aber kann das abmessen? Hierüber giebts absolut kein Meßinstrument. Thun
wir das unsrige und bestmögliche, dann gelingt es vielleicht und hoffentlich der
Natur, über die Stoffwechselrüüstände Herr zu werden. So machte ich in
einem ähnlichen Falle, bei einer 48jährigen Dame, eine günstige Erfahrung.
Dieselbe war seinerzeit vom Universitäts - Professor H. medicinisch behandelt
und unbedingt aufgegeben worden, hatte sich aber die Freiheit genommen, bei
nachfolgend hydrophatischer Behandlung länger zu leben, als von ihm erlaubt
worden war, nämlich noch 18 Jahre, statt weniger Tage, welche Keckheit ihr
von der medicinischen Fakultät in Graz sehr übel vermerkt wurde.
Um Frau Haßfurter länger persönlich beobachten zu können, blieb ich
noch 3 Tage bei ihr, änderte aber nichts Wesentliches an meiner ersten brief