Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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bringen — das ist die hergebrachte und ärztlicherseits kluger Weise unterstützte 
Meinung. Man lebt also wochenlang noch leidlich vernünftig und — der 
Erfolg des „Brunnens" zeigt sich thatsächlich. Die Menschen wollen nun 
einmal hinters Licht geführt sein! 
Nun, lieber Leser, vielleicht merkst Du, falls Du es noch nicht wissen 
solltest, daß alles das, was man dem „Brunnen" zuschreibt, zurückzuführen 
ist auf eine Lebensweise, bei welcher der ganze Organismus unter vernünftige 
Lebensbedingungen gestellt wird, bei der man manches läßt, anderes thut, bei 
welcher Aufenthalt in frischer Luft, Anregung der Hautthätigkeit, zweck 
mäßiger Wechsel von Thätigkeit und Ruhe, eine reizlose Diät, sowie 
endlich ein Herausreißen aus den Sorgen der Alltäglichkeit die Hauptrolle 
spielen. Laß Dich's also nicht anfechten, wenn Dein Geldbeutel nicht gefüllt 
genug ist, um eine Badereise nach Karlsbad, Kissingen rc. zu ertragen! Wirf 
auf einige Wochen Deines Geschäftes Widerwärtigkeiten, Deines Amtes Bürde 
ab, suche Dir ein stilles Plätzchen in einer schönen Gegend, bade fleißig oder 
nimm täglich eine kühle Ganzabwaschung (18°), mache Dir reichliche Bewegung, 
treibe fleißig Tiefatmen, gurgele täglich mindestens dreimal mit frischem 
Wasser, nimm ebenso oft Mundbäder, verschmähe auch ein Glas frischen 
Wassers nicht, halte endlich eine Diät, bei welcher Hafergrütze und Hafermehl, 
Milch in jeder Form, Buttermilch, gutes Brot, junges Gemüse und Obst eine 
Hauptrolle spielen, — und Du wirst wunderbar gestärkt aus Deinem „Bade 
orte" zurückkehren. Hältst Du aber nach einer derartigen wöchentlichen Kur 
48 Wochen „Nachkur", indem Du „kurgemäß" weiter lebst, so sei überzeugt, 
Du brauchst nächstes Jahr in kein „Bad" zu reisen. — Leidest Du aber an 
schwerem chronischen Siechtum, sind einzelne Teile besonders stark mitgenommen, 
so wähle statt eines Badeortes eine gut geleitete Naturheilanstalt. Dort stehst 
Du unter denselben günstigen Allgemeinbedingungen wie in einem Badeorte, 
außerdem aber wird der Arzt das für Dein Leiden und Deinen 
jeweiligen Kräftezustand passende Verfahren einschlagen können, 
während Du in einem Badeorte Gefahr läufst, daß ein „Brunnen", ein „Bad", 
welches einem andern bekommt (d h. nicht besonders schadet), für Dich unge 
eignet ist. Nichts kann nach Lage der Sache schablonenhafter sein, als eine 
„Brunnen-" oder „Badekur", während für eine rationelle Krankenbehandlung 
als Hauptgrundsatz festzuhalten ist, daß alle Maßnahmen genau dem 
jeweiligen Zustande des Kranken angepaßt werden müssen. 
Möchten die vorstehenden Zeilen dazu beitragen, die Aufmerksamkeit mehr 
als bisher auf unsere natürlichen Hetlfaktoren zu lenken; möchten sie das 
Verständnis für das Motto wecken, welches Niemeyer seinen Schriften voranstellt: 
„Nicht Heilsäfte sondern Heilkräfte!" 
Einige Irrtümer moderner Erziehung. 
von Frau Klara Milche, geb. Schwarz. 
(Schluß). 
Ueberließe man das Kind der Lehrmeisterin Natur und wartete ein wenig 
länger, bis es auf eigenen Füßen steht, so würde man viel Mühe sparen; 
denn es wird sich selbst vom Boden erheben, an irgend nahe stehenden Gegen 
ständen sich hallend, und die Sorge der Pfleger brauchte nur darüber zu 
wachen, daß es bei den häufig verunglückten Versuchen nicht zu hart fällt. 
Diese Praxis wird freilich sehr selten geübt und fehlt auch Raum und Gele-
	        
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