Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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So lange die Männer der Wissenschaft sich nicht in ihrer Gesammtheit 
für die Naturheilkunde entscheiden, werden wirklich und zwar klassisch Gebildete 
nicht zu ihrer Fahne schwören. Der Umstand, daß sehr vereinzelte, unter 
geordnete Medizinärzte und spekulierende Kaltwasser- und Naturheilanstalten 
besitzer mit dem Doktortitel sich als,Maturärzte" ausgeben, ist keine Empfehlung 
für das Naturheilverfahren. Die unumstößliche Thatsache, daß die Autoritäten 
und Herren der medizinischen Wissenschaft und die ganze Schule derselben in 
geschlossener Macht das Naturheilverfahren verurteilen, ist der sprechendste 
Beweis von der Nichtigkeit dieses sogenannten „Heilverfahrens". Wer diesen 
Beweis nicht zu würdigen vermag, ist eben für Beweise unzugänglich, mit dem 
ist nicht zu rechten. Punktum!" 
Bei solchen Darlegungen kann man leicht den Mut verlieren, irgend 
noch ein Wort zu entgegnen. Es gehört schon eine ordentliche Portion Ueber 
zeugung dazu, den Handschuh aufzuheben und das Gefecht aufzunehmen. Da 
ich aber als alter Kämpe schon etwas „wasserdicht" bin, so sei es gewagt. Greifen 
wir bei Beginn des Jahres zum Schwert, um es zur nachhaltigen Abwehr der 
zungen- und federgcwandten Angriffe zu führen. 
Ich halte zunächst die Herren staatlich approbierten Aerzte in ihrer 
Gesammtheit für durchaus ehrenwerte Männer, achte ihren Mannescharakter, 
schätze ihre wissenschaftliche Bildung und ihre nicht minder wissenschaftlichen Kennt- 
niffe. Ich anerkenne mit vollem Brusttöne, daß ich schon als Jüngling von 19 
Jahren den Vorlesungen des Professor Bock in Leipzig über pathologische 
Anatomie gern gelauscht, in meinem ganzen späteren Leben bevorzugt mit jungen 
und älteren Aerzten verkehrt bin, und von ihrem Wissen mancherlei gewonnen habe. 
Ich erinnere mich gern der Zeit, wo ich ein volles Jahr in einer Irren- 
heilanstalt mit Aerzten gemeinschaftlich arbeitete und oft im anregenden Gespräch 
mit jungen strebsamen Studenten der Medizin mich in die Wiffenschaften der 
Physiologie, Anatomie-und Pathologie vertiefte und viel Gutes lernte. Es 
waren mir Stunden der größten Anregung, wenn ich aus Büchern die Resultate 
der Forschungen aus dem Gebiete der Äetiologie fand und sie mir zu eigen 
machen konnte. Ich trat beim Studieren ihrer geistigen Produkte, ihrer klinischen 
Errungenschaften den besten und größten Forschern und Lehrern auf dem Gebiete 
der Medizin nahe und lernte mit Fleiß und Aufmerksamkeit von ihnen. Mir 
wurden so die medizinischen Anschauungen über die Krankheitsursachen, über 
das Wesen der Krankheiten, über die Mittel der Bekämpfung derselben mehr 
geläufig. Aber gerade diese Erkenntnis befähigt mich auch, die Frage zu beant 
worten,^ warum die überwiegende Mehrzahl der Mediziner, vom Lehrer bis 
zum Praktiker, kein Verständnis für das Wesen der Naturheilkunde habt und 
haben kann. Ich meine, die ganze Lehre der Medizinheilkunde ist ein Hindernis; 
die ganze Grundlage, das ganze Wesen der Medizinheilkunde und der ganze da 
rauf gebaute Unterricht, gerade der so gründliche Unterricht, und auch die Art 
des Lernens und Studierens dieser Wissenschaft und die Form, unter welcher 
die Studierenden sich die Schulmedizin aneignen, macken es fast zur Unmög 
lichkeit, einen freien Sinn den Grundsätzen der Naturheilmethode entgegen zu 
bringen, ein ungetrübtes Auge den Erfolgen derselben offen zu halten. 
Was der Mediziner über das Entstehen, das Wesen und die Bedeutung der 
Krankheiten lehrt, beziehentlich lernt, steht den Anschauungen der Naturheillehre 
in der Hauptsache schnurstraks entgegen. Die Therapie, die Lehre wie die 
Heilung der Krankheiten zu geschehen hat, die der Mediziner lehrt und gelehrt 
bekommt, und die ihm in Fleisch und Blut übergangen ist und übergehen 
mußte, will er anders ein richtiger „echter praktischer Arzt" werden und sein
	        
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