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und ernst gefragt wird, was denn eigentlich Naturheilkunde sei! Man sieht aus
den Mienen dieser Leute, daß sie schon anfangen, davor Respekt zu bekommen,
und ich finde, dieses ist für die großenteils denkfaule Menschheit immer schon
ein recht erfreuliches Zeichen. Gehen wir nun aber einmal einen schritt weiter
und sprechen von denjenigen, welche der Naturheilkunde schon etwas näher
getreten, sind. Unter diesen giebt es noch eine Menge, welche der irrigen
Meinung sind, daß man durch Naturheilkunde nur eine Anzahl kleiner, täglich
vorkommender Unpäßlichkeiten heben könne, wenn es sich aber um größere
Krankheiten, als Scharlach, Diphtheritis, Leber- und Nierenleiden, Frauenkrank
heiten, Nervenleiden, Augen- und Ghrenleiden rc. handelt, dann müsse man
sich doch lieber an einen ordentlichen Doktor wenden. Diese Leute verkennen
den Werth der Naturheilkunde noch gänzlich. Da ich bestimmt weiß, daß auch
unter den Lesern des „Naturarzt" noch manche sind, welche trotz aller Artikel
über günstige Heilerfolge bei schweren Krankheiten doch noch eine ähnliche
geringschätzende Meinung über Naturheilkunde haben, so sei es mir gestattet,
diese Halbgläubigen über den hohen Werth der noch so vielfach bei Hoch und
Niedrig verkannten Naturheilmethode etwas aufzuklären, was verstehen diese
Leute unter einem ordentlichen Doktor? Doch nur den alten Bekannten aus
früheren Jahren, welcher bei Krankheitsfällen kommen mußte und dann ein
lateinisches, den Meisten unverständliches Rezept schrieb, welches dann sorgfältig
von einer zuverlässigen Person in die Apotheke gebracht und nach einer halben
Stunde nebst dem vermeintlichen Wundertrank wieder abgeholt wurde, wurde
dann durch die eingenommene Arznei im günstigen Falle die eine Krankheit
bekämpft und es entstand eine andere, so hatte nicht Doktor und Arznei die
Schuld, sondern der Fimmel. Starb aber im anderen Falle der sonst noch
lebensfähige Patient, so hieß es: Nach Gottes Rathschluß! — wirklich riesig
bequem, die Folgen eines althergebrachten menschlichen Unsinns auf das Schicksal
zu schieben, wer die Naturheilkunde in ihrem ganzen Wesen richtig verstanden
hat und wissenschaftlich zu begründen weiß, macht sich freilich eine ganz andere
Vorstellung von einem ordentlichen Doktor. — Gs ist doch eine längst erwiesene
und unumstößliche Thatsache, daß jeder kranke und noch lebensfähige Körper
ein natürliches Heilbestreben in sich trägt, und daß es nur Aufgabe eines wirk
lich ordentlichen Arztes ist, dieses natürliche Heilbestreben durch reine milde
Luft, reizlose Diät, geeignete Wasseranwendung, aktive oder passive Bewegung
zu unterstützen, um das Leiden gründlich zu heben und nicht durch Medikamente
nur scheinbar. Viele Kinder haben nach überstandenem Scharlach bei allo
pathischer Behandlung (also von einem sogenannten ordentlichen Doktor) Augen-
und Ghrenleiden bekommen, welche schlimmer sind als Scharlach; Gelenk
rheumatismuskranke haben später Herzleiden zu ertragen; Nervenkranken wird
gewöhnlich der Verdauungsapparat noch mehr ruinirt, als er es bereits war rc.,
und dies Alles durch Arzneischlucken und Nichtbefolgung der einfachsten Ge
sundheitsregeln. Dies kann aber bei einer rationellen Naturheilmethode nicht
vorkommen, hier wird nicht zu dem bereits im Körper befindlichen Krankheits
stoff noch ein neues Gift hinzugebracht, sondern durch geeignete und dem
Patienten angepaßte Anwendung der natürlichen Heilfaktoren wird der Krank
heitsstoff aus dem Körper entfernt und Geschwächte werden dadurch allmälig