Volltext: Der Naturarzt 1887 (1887)

139 
nächst öocumentiren muß, nicht bloß bei einer einzelnen krankheitsform. Ganz etwas Anderes ist 
es, wenn, wie in einer Schweizer Stadt bei einem Sängerfest an 400 Personen am Tvphus er 
krankten, die von einem kranken Kalbe gegessen; da ist die Ursache nicht zweifelhaft. 
Logik und kritisches Denken ist aber leider selbst bei den Gebildeten nicht häufig zu treffen, 
man urtheilt nach dem Schein und vorgefaßten Meinungen und läßt Zweifel gar nicht auflommen. 
Auch ist es ganz richtig, was Lorinfer bemerkt, daß die menschliche Eitelkeit bei solchen Crkrankungs- 
fällen lieber die Ansteckung beschuldigt, an der man ganz unschuldig ist, als daß sie zugiebt, daß 
eine so abscheuliche Krankheit spontan entstanden sei, die theilweise vielleicht ein gewisies Selbst 
verschulden involvirt. 
wir wollen nun theilweise aus den Schriften Prof. Adolph Vogts eine Anzahl von That 
sachen anführen, die diese Contagientheorie trefflich beleuchten und deren Grundlosigkeit darthun, denn 
die Uichtcontagiosität läßt sich in Tausenden von Cinzelfällen constatiren, die Ansteckung dagegen in 
keinem einzigen Falle, weil sich niemals beweisen läßt, daß sich diese nicht spontan entwickelte, wie 
es doch beim ersten geschehen sein muß, wenn man nicht die absurde Hypothese zulassen will, daß 
die Tontagien seit Erschaffung der Welt in den Lüften herumschweben. 
Bezüglich der Glättern, die von den Impfern als ganz besonders ansteckend verschrieen sind, 
schreibt der berühmte Afrikareisende White GaKrr in seiner Reise nach den Uilquellen, daß im 
Lager der Türken die Blattern ausbrachen und diese darauf bestanden, sich und alle ihre Sklaven 
impfen zu lassen, so daß das ganze Lager derselben von der scheußlichen Krankheit dunstete, während 
Baker, dessen Lager getrennt war, seinen Leuten die Impfung strengstens verbot und keinen einzigen 
Kranken hatte, obwohl die Seuche sich durchs ganze Land verbreitete; denn sie ist eine Geißel in 
Eentral-Afrika. Livingstone berichtet jedoch, daß sie dort oft 20—30 Jahre lang nicht vorkommt, 
obwohl diese Völker ungeimpst sind. Dasselbe hat man in Island lange vor Jenner beobachtet. 
Besonders bemerkenswerth ist aber eine kleine Blatternepidemie, die 1879 in der Irrenanstalt 
Waldau bei Bern herrschte, welche die Contagionisten nicht anders zu erklären wußten, als daß 
5 Wochen vorher einige Blatternfälle in einem benachbarten Siechenhaus vorkamen, das übrigens 
ganz isolirt wurde. Ein direkter Zusammenhang des ersten Blatternfalles mit der benachbarten 
Anstalt war aber durchaus nicht nachweisbar, auch kamen dort, nachdem eine Anzahl Personen 
ergriffen worden und genesen, keine neuen Erkrankungen mehr vor, obwohl eine Absperrung der 
inficirten Räume nicht möglich war. Ueberdies blieb die Epidemie in Waldau ganz auf den Männer- 
flügel beschränkt und zwar auf einzelne Abtheilungen desselben, obgleich zwischen den verschiedenen 
Abtheilungen keine scharfe Trennung bestand, Aerzte, Wärter, Arbeiter auf allen verkehrten und die 
Patienten auch auf dem Felde mit andern zusammentrafen. 
Als ferner am 6. April gleichzeitig sechs Erkrankungen vorkamen, wurden die Blattern 
kranken in eine ganz nahe Filiale versetzt, ohne daß die noch dort vorhandenen Pfleglinge sammt 
den Wärtern angesteckt worden wären, während in der Ursprungsstelle der Pocken immer mehr Cr- 
krankungsfälle trotz aller getroffenen Maßregeln sich einstellten, weder die sofortige Entfernung des 
ersten Blatternfalles noch die Entfernung der später Erkrankten in die Filiale schnitten der Weiter 
verbreitung den weg ab, auch die gründliche Desinsection des ersten Kranken- und Wärterzimmers 
half nicht. Bevor aber die Blattern in Waldau ausgebrochen, hatte man das gesammte Oekonomie- 
und wärterpersonal, ebenso nach Erscheinen der Krankheit Alles revaccinirt, was nicht schon in den 
letzten 5 Jahren revaccinirt worden war, abrr trotzdem erkrankten von den 23 revaccinirten Wärtern 
5, und von den revaccinirten Irren 19, weil bei ihnen eben die Bedingungen einer späteren Er 
krankung vorhanden waren oder theilweise geschaffen wurden. 
Als Ursache der furchtbaren Verheerungen, welche die Pocken unter den ungeimpften Völkern 
angerichtet haben sollen, pflegen die Impfer gewöhnlich die angebliche Einschleppung nach Amerika 
durch die Spanier und Portugiesen anzuführen. Cs ist dabei nur merkwürdig, daß, während die 
ungeimpften Ureinwohner der Seuche erlagen, das kleine Häuflein der Eindringlinge selbst, welche 
gleichfalls ungeimpst waren, seine Raubzüge fortsetzte und — nicht als Pockenleichen — größten- 
theils in die Heimath zurückkehrten. 
Anfangs des 16. Jahrhunderts herrschten die Blattern auf den Antillen, wo die spanischen 
Eroberer sich festgesetzt hatten. Von der Epidemie auf St. Domingo berichtet Martyrins, daß
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.