Volltext: Der Naturarzt 1885 (1885)

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Zwei Gegenstücke ;u Prot. Snckens Rrankheits-Geschichte 
nämlich: 
Ebenfalls allopathisch ausgegeben und physiatrisch gerettet. 
Vom Herausgeber. (Fortsetzung.) 
Nachdem mir bei meinem Besuch um 11 Uhr diese „Obermedizinalrätliche" 
Visite mitgeteilt worden, nahm ich weiter keine Notiz davon, sondern führte 
meine Patientin an ihr Clavier. öffnete es und lud sie ein. mir ein beliebiges 
Stückchen, gleichsam ihren A u f e r st e h u n g s m a r s ch zu spielen; sie zögerte 
keine Minute, setzte sich und fing an zu spielen, doch nach kurzer Zeit schon 
erklärte sie mir: es gehe noch nicht so wie früher, namentlich die Finger der 
rechten Hand genirten sie beim Anschlag rc.; im weiteren Verlauf des Ge 
spräches klagte sie mir ferner noch, daß ihr die Hauptwörter so schwer ein 
fallen, ja so eigentümlich sei es, daß sie oft recht wohl ein Wort wisse, das 
sie gerade brauche, dasselbe aber eben nicht aussprechen könne, bevor sie es 
nicht gedruckt oder geschrieben gesehen oder man es ihr vorgesagt habe! Ich 
machte ihr nun begreiflich, wie dieser fatale Umstand mit der Verwundung 
ihres Gehirns beim apoplektischen Insulte durch Zertrümmerung von Nerven 
zellen zusammenhänge, daß sie sich aber wohl der Hoffnung überlassen dürfe, 
daß auch in dieser Beziehung mit der Zeit noch einige Besserung, vielleicht 
sogar der frühere Zustand wieder vollständig eintreten werde; sie solle nur 
meine weiteren Verordnungen pünktlich befolgen und zufrieden sein, in der 
kurzen Zeit von 9 Tagen bereits soviel erreicht zu haben, wo ihr alter Medi 
kus sie ja schon als verloren, mindestens für zeitlebens gelähmt be 
trachtet habe! 
Meine weiteren Verordnungen für die nächsten 4 Wochen bestanden nun 
in folgendem: Jede Nacht dreiviertel Einpackung mit lauem Halbbad am 
anderen Morgen, darauf 1—2 Stunden ins Bett zurück. wo nüchtern ein 
Glas Wasser getrunken, später auch das Frühstück genommen wurde; nach 
9 Uhr Aufstehen, Ankleiden und Aufbleiben, nach 10 Uhr ein kühles Klystier, 
nach erfolgter Öffnung ein zweites kleineres zum Behalten, resp. Aufsaugen. 
Um 11 Uhr Promenade im Freien, wobei immer jemand zur Begleitung mit 
gehen solle, damit Patientin von Bekannten auf der Straße nicht soviel mit 
Fragen belästigt werden könnte, auch weil man ja nicht sicher war, ob ihr 
sonst nicht etwas passirte. Eine Stunde nach dem Mittagessen, welches echt 
bürgerlich aus Suppe, Gemüse und Fleisch, an einigen Tagen aus Mehlspeise 
und Compot bestand, ließ ich Patientin in ihrem Schlafzimmer im Lehnstuhl 
bei offenem Fenster ein Schläfchen von einer Stunde machen, mindestens aber 
sich darin ruhig verhalten, darauf Spaziergang im Freien; an 3 Tagen in 
der Woche aber noch 14 Tage lang eine feuchte Ganz einpackung 
von ca. I siz—2 Stunden mit darauffolgendem Halbbad. Nachts von 10 Uhr 
an dann die dreiviertel Einpackung. Nachtwache unterblieb jetzt; da die 
Schwester der Patientin ja im gleichen Zimmer schlief. Vom Mai an, also 
von der 6. Woche an, ließ ich bloß noch feuchten Rumpfumschlag über Nacht 
mit morgendlicher Abwaschung des ganzen Körpers und vor Schlafengehen 
ein kaltes Fußbad (14°) von 15 Min. Dauer nehmen und wöchentlich in einer 
Badeanstalt 1—2 mal ein laues Wannenbad, bestand auch darauf, daß 
Patientin Tag für Tag mindestens einmal eine Stunde lang sich ins Freie 
begebe. Ich hätte Patientin gern noch länger, namentlich bei dem kalten un 
freundlichen Sommer, teils nachts dreiviertel-, teils bei Tage ganze Packungen 
nehmen lassen, weil, so oft ich sie besuchte, sie immer kalte Hände und Füße
	        
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