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ausübt, falls wir mit den drei verschiedenen Materialien bekleidet sein würden. Leinwand läßt
die Wirkung der äußeren Wärme, der Sonnenstrahlung, in trockenem Zustande sehr wenig ge--
hindert unseren Körper treffen, läßt aber eben so, wenn die äußere Temperatur niedriger ist
als unsere Körperwärme, unseren Körper selbst an Wärme durch sie hindurch energisch verlieren,
in geringerem Maße wird dies die Baumwolle erlauben, im geringsten jedoch unter allen Um
ständen die Wolle. Die Wolle hält eben so zur Zeit der äußeren höheren Wärme dieselbe
vom Körper ab, wie sie bei niederer Temperatur die tierische Körperwärme konservirt. Hierin
liegt eben das ganze und wichtigste Geheimnis des Wertes der Wollkleidung, daß dieselbe im
Sommer vor der Wärme s ch ü tz t, im Winter aber die Körperwärme z u r ü ck h ä l t. Leinwand da
gegen läßt im trockenen Zustande im Sommer die Sonnenwttrme, im Winter die Körperwärme
durchpassiren. _ Daß aber ein Bekleidungsmaterial, welches im Sommer „kühlt", im Winter
„wärmt", g e s u n d h e i t s g e m ä ß e r ist, als ein solches, welches im Sommer „wärmt" und
im Winter „kühlt", liegt ohne weiteres auf der Hand. Die Baumwolle steht zwischen
beiden, doch der Leinwand erheblich näher als der Wolle. — Bei der Beurteilung des Bekleidungs-
wertes eines Stoffes kommt jedoch noch ein anderes Moment in erheblicher Weise ttt
Betracht, das ist das Verhalten des Stoffes gegenüber dem aus der Haut unaufhörlich in Gestalt
von Schweiß austretenden Wassers. Auch hier kann das Experiment uns wieder helfen. Mar:
tauche die eben gebrauchten drei Stücke Leinwand, Baumwolle und Wolle in Wasser, ziehe
dieselben, ohne sie auszudrücken, heraus, hänge sie an einer Ecke in einem geschlossenen Zimmer
auf und lasse sie trocknen; zuerst wird die Leinwand, dann die Baumwolle, zuletzt die Wolle
trocken sein, hängt man die trocknenden Stoffe an empfindliche Wagen, so kann man den
gleichzeitigen Wasserverlust in Zahlen ausdrücken, wiederholt man jedoch das Experiment in
der Weise, daß man einen Teil der Stoffe je um die Kugel eines empfindlichen Thermo
meters wickelt und oiese nun unter gleichen äußeren Verdunstungsverhältnissen aufhängt, so
wird man gewahren, daß das mit Leinwand umwickelte Thermometer schnell, das mit Baum
wolle umwickelte etwas, das mit Wolle umwickelte jedoch erheblich langsamer fallt. Diese
Erscheiuung erklärt sich daraus, daß bei der Verdunstung des Wassers aus den Umhüllungen
eine gewisse Wärmemenge gebunden (latent) wird und daß um so mehr Wärme gebunden wird,
je schneller die Verdunstung von statten geht: schnell bei dem Leinen, längs am bei der
Wolle. Diese gebundene Wärme wird aber den anliegenden Gegenständen, also der Lust
und der Thermometerkugel, dem Quecksilber, entzogen, daher dasselbe proportional der
Schnelligkeit der Verdunstung sinken muß. Wie stellen'sich nun diese Verhältnisse für die zur
Bekleidung verwandten Stoffe? Die Bekleidung kann auf zwei verschiedene Weisen in den
Zustand der Durchnässung geführt werden: von außen durch direkte Einwirkung von
Wasser in Gestalt von Regen oder zufälliger Durchtränkung, oder von innen durch Schweiß
produktion des Körpers selbst. Der Effekt beider Durchnässungen des Stoffes ist für die
Verdunstungsverhttltnisse des Wassers derselbe: nach dem Experimente wird aus Leinen das
Wasser schnell, aus Baumwolle langsamer, aus Wolle sehr langsam verdunsten;
demnach wird der umliegenden Lust und der menschlichen Haut, welche in diesem Falle die
Stelle der Thermometerkugel in: Experiment vertritt, bei Leinen sehr viel, vei Baumwolle
weniger, bei Wolle sehr wenig Wärme in demselben Zeitraum entzogen werden. Diese unter
dem Namen der „Verdun st u n g s k ä l t e" bekannte Erscheinung ist uns nun aber ganz vor
nehmlich von Leinen sattsam bekannt: nasse Leinwand kältet die Haut ganz beträchtlich ab,
d. h. in demselben Maße vermehrt sie auch die Gefahr der Erkältung. Für
die Einwirkung der niederen Temperatur auf die Haut ist es nämlich von erheblichem Ein
flüsse, in welchem Zustande dieselbe sich befindet; ein in Ruhe befindlicher Körper produzirt
wenig oder keinen tropfbar flüssigen Schweiß, obwohl der fortwährende Wasserverlust des
selben auf dem Wege der Verdunstung ein sehr bedeutender ist. Die feinen Kapillar-Gefäße
der äußeren Haut befinden sich hierbei in einem Zustande der Ruhe. des Gleichgewichts und
der mittleren Ausdehnung. Ein sie so treffender thermischer Reiz, eine energische Abkühlung,
wie sie bei Durchnässungen, bei der leicht durchflüssigen Leinwand schnell, bei Baumwolle
weniger schnell, bei Wolle am langsamsten stattfindet, bewirkt eine um so schneller erfolgende
Zusammenziehung der Kapillaren der getroffenen Stelle, je größer die Temperaturdifferenz
selbst ist. Die nächste ankommende Blutwelle findet also einen Teil ihres Stromgebietes
verengt und staut sich demgemäß vor demselben, die entfernter liegenden, besonders die inneren,
der Abkühlung nicht ausgesetzten Organe mit Blut überfüllend, deren Kapillaren kompensatorisch
erweiternd, um der Blutwelle Abfluß zu verschaffen. Es entsteht hierdurch das, was der
Pathologe eine Stauungs-Hyperämie nennt. Ist nun aber im anderen Falle die
Haut, durch starke Muskelaktion oder sonst wie veranlaßt, im Zustande einer bedeutenden Blut-
fülle, die Kapillaren erweitert, die Endigungen der Hautnerven selbst durch die Blutsülle ihrer
Kapillarschlingen in einem Erregungszustande, die Gewebszwischenräume mit ausgetretenem Wasser
gefüllt, die Haut selbst mit tropfbar flüssigem Schweiße bedeckt, dann wird eine energische
Bindung von Wärme durch schnelle Verdunstung einen ungleich mächtigeren Effekt geben, als
im ersteren Falle. Der Reiz für die blutstrotzenden Kapillaren, für die Hautnerven, wird