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Natürlich erfordert diese einen gewissen Grad von Energie, die jedoch
größtenteils darin besteht, eine gewisse Zeit den Genüssen des Lebens l e b e w o h l
zu sagen. Doch das Bewußtsein, sicher gesund zu werden, da mau den Erfolg
bei den andern Leidensgefährten immer vor Augen hat, giebt reichlich Trost.
Meist genügen dazu, selbst bei Schwererkrankten, 5 bis 6 Wochen. Zum
Schlüsse will ich noch einiges Interessante aus meiner eigenen Kur zum Besten
geben.
Nachdem ich dieselbe 3 Wochen gebraucht, bekam ich von der fast aus
schließlichen Kost von älterer Semmel und Wein, Diarrhöe, welche erst mit
dem Momente aufhörte, als ich den ersten gewässerten Wein in der Pause
zu mir nahm. Ein Zeichen, daß die zur Verdauung gelangenden schlechten
Säfte des Körpers diese erzeugten.
Mein Normalgewicht war immer 65 1 / 2 Kilo.
Beim Beginn der Kur . . . 62 1 / 2 „
Nach Beendigung der Kur . . 53 1 / z „
3 Wochen nachher 68 ^ „
Gewöhnlich giebt es nur einfache Dursttage. Doch da ich die Kur am
strengsten von allen damals Anwesenden gehalten, außer diesen noch 7 Doppel-
dursttage d. h. 60 Stunden keinen Tropfen Flüssigkeit und an Nah
rung habe ich 4 bis 10 ältere Semmeln zu mir genommen.
Der Genuß des ersten Glases Glühwein (heißer Wein mit etwas Zucker.)
ist aber dann auch unbeschreiblich. In den nächtlichen Einpackungen hielt
ich bis zu 11 Stunden aus. Diese bestehen in kalten vollkommen ausgewun
denen nassen Leintüchern, welche jedoch alsbald warm werden und man in
feuchter Wärme, später in Schweiß, die Zeit zum Teile schlafend verbringt.
Sonst darf der Körper nicht mit kaltem Wasser in Berührung kommen, da
die Poren der Haut und die Drüsen begierig das Wasser aufsaugen würden.
Die großen Trinktage entschädigen reichlich die Strapazen der anderen. Man
gewinnt alsbald seine Kraft und seinen Humor wieder.
Wenn ein Fremder zu den an Sonntagen und Donnerstagen stattfindenden
Konzerten und Tanzunterhaltnngen kommt, findet er dasselbe Bild, wie in
andern Luxusbädern bei derlei Gelegenheiten, nur sind die Kurgäste hier heiterer,
wenn auch zumeist magerer. Die Erinnerung an die verlebten Tage in Linde
wiese werde ich nicht vergessen, denn die Folge der Entbehrungen sind wieder
Genüsse, von denen man unter normalen Verhältnissen keine Ahnung hat.
Insbesondere die Pause mit ihrem ersten Frühstück, ersten Glas Bier und
ersten Dampfbad (?) bietet wahrhaft lukullische Genüsse. Derjenige, welcher
die Kur noch nie mitgemacht, kann diese schwerlich zu Hause durchführen.
Ich aber trete mit demselben Momente wieder in die Kur, als sich ein ernstes
Unwohlsein irgend welcher Art zeigen würde und bin überzeugt, zumeist in
wenigen Tagen und ohne jede Medizin komplett zu gesunden.
Nachschrift der Redaktion.
Unterm 23. Mai a. o. erhielt ich nachstehendes Schreiben:
„Über Aufforderung Ihres Abonnenten 2t'.., meines Oheims, erlaube ich mir Sie brieflich
um einen Rat einzuholen. Ich erkrankte nämlich Anfang dieses Jahres an Syphilis und
habe vor 8 Tagen eine 2monatliche Quecksilberkur durchgemacht; kaum einige Tage als ge
heilt entlassen, stellten sich am Halse wieder Schleimpapeln ein; die H a l s- und Schenkel-
d r ü s e n sind überhaupt noch nicht besonders zurückgegangen. Ich bin schwächlicher Konstitution,
27 Jahre alt und möchte Sie um Rat ftagen, was ich thun soll? Man ratet mir von
einer Seite das I o d b a d Hall an und von der andern Seite eventuell die L i n d e w i e s e-
Kur; ich möchte jedoch keinen weiteren Schritt thun, bevor ich nicht Ihre Ansicht darüber
vernommen und bitte mir dieselbe, recht bald bekannt geben zu wollen. N. N."