Volltext: Der Naturarzt 1883 (1883)

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Krankheiten der Menschen und Tiere ist ohne Zweifel der großartigste Triumph, welchen 
die medizinische Wissenschaft tu diesem Jahrhundert errungen hat. Trotz dieses gewaltigsten 
Fortschrittes der Theorie jedoch sind die nutzbaren Folgerungen für die Praxis bis jetzt 
so gut als gar keine. Die praktischen Konsequenzen' der Pilztheorie für die Therapie, 
für die individuelle Prophylaxis der Krankheiten sind noch nicht gezogen!" 
Listers Grundidee bestand darin, daß es genügen müsse, alle Schädlichkeiten von einer 
Wunde fern zu halten, hauptsächlich also alle von Seiten der F ä u l n i s e r r e g e r aus 
gehenden Wirkungen, um die selbstheilende Thätigkeit des Gewebes sich ungestört entwickeln 
zu sehen! Einer solchen Grundidee ermangelt die heutige Pilzforschung bezüglich der 
i n t e r n e n Krankheiten vollständig und dies ist im Interesse der leidenden'Menschheit sehr 
zu bedauern. Vers. hat nun einen neuen Gedanken und glaubt dadurch ein Lister 
für ^Infektionskrankheiten werden zu können. Da die Antiseptiea bei der i n- 
lernen Anwendung erfahrungsgemäß vollständig n u tz l o s, im Gegenteil sogar schädlich 
sind, so fragt es sich, ob überhaupt eine weitere Möglichkeit zur Bekämpfung der Pilz 
krankheiten existire? Hierauf habe Vers. bereits 1877 bejahend geantwortet, indem er dar 
auf aufmerksam gemacht, daß alle diesbezüglichen Studien von dem S e l b st Heilungs 
vorgang bei den Infektionskrankheiten ihren Ausgang nehmen müssen, denn es feie 
eine der auffälligsten Erscheinungen, die unser tiefstes Nachdenken erwecken muß, daß so 
häufig und ganz regelmäßig Spaltpilzvegetationen, die sich im Körper bereits entwickelt 
haben, dennoch wiederum in demselben ihren Untergang finden. Im Gegenteil sollte man 
meinen, daß eine Pilzvegetation, wenn sie sich erst im Gewebe eingenistet hat, wegen der 
wachsenden Jndividuenzahl und wegen der Mitwirkung der von den Pilzen gebildeten Zer 
setzungsstoffe , die auf das Gewebe vergiftend einwirken, in immer steigender Progression 
sich ausbreiten und jedesmal den Tod des ergriffenen Organismus herbeiführen müßte. 
Der wirklich eintretende gegenteilige Erfolg beweise die trostreiche Thatsache, daß 
überhaupt Hülfe möglich ist, daß es U m st ä n d e giebt, die noch weit mächtiger sind, als 
alle jene Bedingungen, wodurch die Wirksamkeit der im Gewebe vegetirenden Pilze eine 
fortwährende Steigerung erfährt. Wenn aber eine schon entwickelte Pilzvegetation wieder 
unterdrückt werden kann, dann ist die Aussicht um so größer, daß es möglich sei, den 
Be ginn einer Pilzvegetation zu verhindern, d. h. Immunität zu bewirken; 
denn die kontagiösen Bakterien sind, wenn sie in den Körper dringen, für gewönlich noch 
wenig zahlreich und darum Anfangs weniger zur Konkurrenz mit den Gewebzellen fähig 
als später. Vers. will nun schon 1877 durch Versuche bewiesen haben, daß die ebenso 
merkwürdige als höchst wichtige Veränderung des Gewebes, wodurch die Spontanheilung 
zu stände komme, nichts anderes sei als dasjenige, was wir gewöhnlich unter „E n t- 
zündung" verstehen! Vers. schließt nun, daß es möglich sein müsse, durch irgend welchen 
entzündlichen Reiz, wenn derselbe auf die richtigen Organe treffe, Immunität 
gegen alle Infektionskrankheiten hervorzurufen und schlägt zu diefem Behufe einige 
chemische Stoffe vor, die in so geringer Menge schon entzündlich reizen, daß 
von einer indirecten Begünstigung von Pilzen dabei nicht die Rede sein könne; diese 
Stoffe sind: Arsen, Phosphor und Antimon. 
Bezüglich der etwaigen Befürchtung, ob diese Mittel nicht etwa noch schlimmer seien, 
als dasjenige, gegen welches sie helfen sollen, sagt Verf., daß schon äußerst minimale Wir 
kungen derselben genügen dürften, nm den Geweben des menschlichen Körpers die erwünschte 
Widerstandsfähigkeit gegen die Jnfektionspilze zu verleihen, Mengen, welche anscheinend, 
d. h. sonst vollständig wirkungslos bleiben. Bekanntlich giebt es eine nicht unbedeutende 
Anzahl Menschen in verschiedenen Ländern, welche Arsenik in gesunden Tagen in staunens 
werten Dosen zu sich nehmen, um sich damit vor Krankheiten jeder Art zu schützen, aber 
auch in manchen Gegenden ist es Sitte, bei den Haustieren methodisch Arsen in kleinen 
Dosen dem Futter beizumischen, weil man dadurch einen steigenden Einfluß auf Ernährung 
und Wachstum, insbesondere auf Fettansatz, Entwicklung von Knochen und Muskeln be 
merkte! Auch sollen Leichen von Arseneffern in auffallender Weise der Fäulnis Wider 
stand leisten! Kurzum — Verf. führt eine Menge Thatsachen an, welche in hohem Grade 
beweisen sollen, daß die Arsenwirkungen bei Menschen und Tieren nicht ungünstig 
sind, folglich dem Gewebe Schutz gegen die Spaltpilze verleihen müssen. Hauptsächlich 
werde sich das Mittel prophylaktisch bewähren bei den Infektionskrankheiten, welche 
eine längere Jnkubationsdauer haben, also bei Blattern, Sch a r l a ch , Masern, 
Abdominal-Typhus, auch ebenso sicher bei D i p h t h e r i e und Tuberkulose! 
— Was kann man denn mehr verlangen? Eine neue medizinische Zeitrechnung des Heils 
beginnt; aber, o weh! hat Verf. auch bedacht, ob der Vorrath von Arsenik auf der Erde 
hinreicht zur Speisung aller ihrer Bewohner, wo immer Infektionskrankheiten herrschen ? !
	        
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