Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

Die Natur macht es nicht wie so viele Menschen, welche ihre treuesten 
Freunde verunglücken lassen; sie hilft Jedem, der sich ihr in reiner Gesinnung 
und Vernunft nähert, und heilt ihm die Wunden, welche Irrtum und Ver 
blendung geschlagen. Ich fühle meine Genesung rasch fortschreiten und ein 
frischer, freudiger Mut erfüllt mich wieder. 
Aber die Nahrung für mein Kind, dem die Mutterbrust versagt ist? Eine 
Zeit lang nahm ich hierzu noch die Kuhmilch aus der magistrat-ärztlich kon- 
trolirten Milchkuranstalt weiter: aber bei aller Garantie, welche hier betreffs 
des Futters für die Kühe gegeben ist, konnte ich mich des Glaubens nicht 
mehr erwehren, daß allein schon die Entziehung der „Bewegung in frischer 
Luft" die Tiere — wie die Menschen — krank mache und daß deren Milch 
auch für den Säugling nicht ganz gesund sein könne. — Einer „Amme" konnte 
ich das Kind nicht anvertrauen; erstens fehlt mir das Geld hierzu und zwei 
tens dürfte es in unserer Zeit überhaupt schwer sein, eine „naturgemäß" 
lebende Amme zu finden. Gegen alle Kiudernahrung, welche als „vollständiger 
Ersatz für Muttermilch" angepriesen wird, habe ich starkes Mißtrauen. Er- 
muthigt durch meine seitherigen Erfolge mit meiner naturgemäßen Lebensweise, 
versuchte ich es, meinem Sohne jetzt schon (er war damals 7—8 Monate alt) 
dieselbe Nahrung zu geben, die ich aß. Daß ich mein Kind „umbringe", wurde 
mir wieder gesagt, sogar auch von „Vegetariern" (allerdings von solchen, welche 
neben Eiern und Milch auch noch Essig, Salz und andere derartige „gute" 
Dinge genießen). Die Leute sagten: „ich sei ein Narr; ich gehe zu weit; ich 
betrachte den Vegetarismus als Abtötungsmittel" k. rc. 
Was aber sagt mein kleiner Bengel gegen seinen „unchristlichen", „rohen", 
„närrischen" Vater? Nun, sagen kann er noch nichts, aber kräftiger, lustiger, 
„lebendiger" wurde er mit jedem Tage! Und dies sagt mehr, als alle Worte 
vermögen. Mit der denkbar größten Lust verzehrt er morgens 6 Uhr einen 
rohen kalten Apfel, später Weizen oder Hafer, der frisch geschroten (samt Kleie) 
mit etwas Himbeersaft und Wasser angefeuchtet wird, gegen 9 Uhr wird er 
gebadet: in das Becken meines Duschapparates kommt Wasser von ca. 22 Grad; 
hierin pläscht er mit beiden Händchen, daß man in Kleidern sich nicht nähern 
kann; gewöhnlich nehme ich ihn auf den Arm und lasse einen kräftigen Regen 
sich über uns ergießen; er zieht dabei fein Köpfchen zwischen die Schultern 
und schnappt nach Luft; sofort aber lacht er, nachdem der Regen darüber. 
Dann wird er mittels eines großen Schwammes mit kaltem Wasser abgerieben, 
was hier und da ein starkes Seufzen, wohl auch manchmal ein Schreien ihm 
entlockt; sowie er aber in warmes Linnen gehüllt und gut getrocknet und ge 
rieben ist, lacht er aus vollem Herzen. Dann schläft er eine Stunde lang, 
oft aber auch nur 10 Minuten, um darauf alle Ecken des Zimmers und alle 
nicht niet- und nagelfesten Gegenstände unsicher zu machen; oder ich turne 
eine halbe Stunde mit ihm: regelmäßiges kräftiges Strecken und Beugen seiner 
Arme und Beine (mit seiner großen Zehe berührt er selbst ohne Anstrengung 
seine Stirn); an seinen Armen oder auch an seinen Beinen (Oberschenkel) ge 
faßt, schwinge ich ihn vor- und rückwärts über meinem Kopfe, lasse ihn auf 
meinen Schultern reiten und klettern und dann in zweimaligem Umschwünge 
auf die Erde nieder k. 
Ob ich mein Kind zum Seiltänzer oder Kunstreiter ausbilden wolle, werde 
ich dann stets von etwaigen Zuschauern gefragt. Ich brauche nicht zu ant 
worten; mein kleiner (einjähriger) Turner scheint solche Fragen zu verstehen, 
er beantwortet sie in einer Weise, die in Worten nicht wiederzugeben ist, die 
Lachen und Freude und Bewunderung jedes Erwachsenen hervorruft. Ge-
	        
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