Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

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scher, R.iche besteht) bei Herstellung von Lebensmitteln befürwortet, scheint 
fast ein Fühler seitens jenes durch den Abgeordneten Dr. Windthorst kürzlich 
so scharf gezeichneten wissenschaftlichen „Ringes", der seine unfehlbare Auto 
rität auch gern über ein Blatt ausdehnen möchte, dessen korrekte Haltung in 
hygieinischer Beziehung ihm zwar in weiten Kreisen von Laien zahlreiche An 
hänger geschaffen. aber sicherlich auch die Sorge und Angst der wissenschaft 
lichen Dunkelmänner erregt hat. Da ist cs denn ein kleiner Trost, daß die 
Redaktion genannten Blattes in einer kurzen Anmerkung ihrer, der Manscherei 
mit Salicylsäure entgegenstehenden, Ansicht Ausdruck giebt. 
Da die Frage aber eine sehr wichtige ist und ich in der Lage war. seit 
dem Jahre 1876 über die Wirkungen der Salicylsäure nach verschiedenen Rich 
tungen spezielle Beobachtungen anzustellen, so halte ich mich zunächst für berech 
tigt, den Artikel des Herrn Chemikers bezw. das Gutachten der medizinischen 
Fakultät von Bordeaux einer kurzen Kritik zu unterziehen. 
Die Eigenschaften, welche der Chemiker der Salicylsäure nachrühmt, lassen 
sich aus 2 Punkte reduziren: nämlich 1. daß sie die Fortsetzung resp. den Wiederein 
tritt der Gährung von Wein, Bier rc. verhindert; 2. daß diese, wie alle 
anderen Wirkungen der Salicylsäure auf ihr eigentliches, allen Organis 
men feindliches, Wesen zurückzuführen sind. 
Dieses ihr eigentliches Wesen, d. h. ihre chemische Wirkung äußert sich also 
zunächst in der Vernichtung aller niederen Organismen, woraus man a priori, 
d. h. ohne erst die von der medizinischen Fakultät von Bordeaux und anderen 
medizinischen „ Autoritäten" (?) gemachten Erfahrungen abzuwarten, hätte 
schließen können, daß sie auch den höheren Organisationen d. i. dem Men 
schen mehr oder weniger schädlich sein muß. 
Was den unter 1. hervorgehobenen Punkt be'risst, so liegt es aus der 
Hand, welch hochgeschätztes Mittel die Salicylsäure für Wein- und Bierfabri- 
kanten sein muß. Daß sie Wein und Bier klar erhält, das Schütteln und 
Rütteln beim Transport u. s. w. unschädlich macht, ist schon sehr bestechend, 
weit mehr aber noch, daß sie auch die fernere Zersetzung des den sogenannten 
verbesserten resp. fabrizirten Weinen zugesetzten Zuckers verhütet. Dadurch 
bleibt der ursprünglich saure Wein, dessen Säure mit Zucker zugedeckt ist, süß, 
bis er die menschliche — Zunge passirc hat und in den Magen gelangt ist. 
Hier freilich kommt die ursprüngliche Säure wieder zum Vorschein, was auch 
die fast allmächtige Salicylsäure nicht zu hindern vermag, vielmehr wahrschein 
lich nun auch ihrerseits dazu mitwirkt. 
Dieser kurze Seitenblick dürfte genügt haben, um das hohe Interesse der 
französischen Wein-Produzenten resp. -Fabrikanten an der Aushebung des 
seitens des französischen Handelsministeriums ergangenen Verbotes der Anwen 
dung von Salicylsäure bei Herstellung von Lebensmitteln und Getränken zu 
erklären, da sich diese Herren nach Angabe des Chemikers der „Täglichen Rund 
schau" „vor einer neuen Ernte" — zum Teil wahrscheinlich von Blaubeeren, 
Zucker und Spiritus — „sahen, welche nach ihren Erfahrungen ebenfalls keine 
brauchbaren Produkte ihnen liefern würde, falls sie nicht zu dem erprobten 
Mittel der Salicylsäure griffen". 
Nun zu dem Gutachten der „Fakultät der Medizin zu Bordeaux". Nach 
dem sie den oben von mir als „ o r g a n i s m c n f e i n d l i ch " bezeichneten 
Charakter der Salicylsäure in den gelehrter und vortheilhafter klingenden 
Namen eines „Antiseptikums" eingemantelt und die daraus folgenden, 
wie wir oben gesehen, sehr bestechenden Vorteile logisch entwickelt, geht sie 
dazu über, uns zu belehren, daß „die Salicylsäure als Heilmittel in rheu-
	        
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