Volltext: Der Naturarzt 1882 (1882)

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Die gehoffte Kräftigung und Genesung stellte sich indessen nicht nur nicht ein, 
sondern ich wurde täglich mehr Lazarus. Nicht ohne Reue gedenke ich heute 
der vielen armen, unschuldigen Tauben, die meinetwegen ihr Leben lassen 
mußten, und zwar unnütz. Und wenn nun dann und wann eine Thräne 
der Wehmut sich Bahn bricht, so bitte ich, mir altem Knaben solches nicht als 
übertriebene Sentimentalität anzurechnen. Nein, ich bekenne viel 
mehr offen und frei, die Zeit, wo das für mich im Todeskampfe brechende 
Auge der unschuldigen Kreatur noch um Erbarmen flehte, ist hin und kehrt 
nrmmer wieder. Einige Tage nach dem Vortrage des Herrn Or. Dock sagte 
mir ein Bekannter, daß es mit meinem Zustande so nicht länger weiter gehen 
könne und dürfe, ich müsse einmal etwas Reelles und Durchgreifendes vor 
nehmen. Ja, antwortete ich ihm, was heißt etwas Reelles und Durchgreifen 
des , nachdem mehre der besten und tüchtigsten Ärzte mich ohne eigentlichen 
Erfolg von Dauer behandelt ? Daraufhin meinte der betreffende Herr: in 
Breslau sei ein Arzt, ein sogenannter Spezialist; derselbe habe schon viele, 
unter andern auch ihn selbst, kurirt und werde auch ich dort Heilung finden 
Man setzte mir nun auseinander, daß die Kur 6 Wochen dauere und darin 
bestehe, daß ich während dieser Zeit keine Spirituosen, wie Wein, Bier, Liqueur, 
keinen Kaffee, nichts Saures u. s. w. und auch kein Fleisch essen dürfe. 
Diese Unterredung teilte ich meiner Frau mit, bemerkend, daß die Be- 
Behandlung auch brieflich abgemacht resp. vorgenommen werden könne. Mit 
dieser Art der Behandlung war meine Frau nun nicht einverstanden, sondern 
sie glaubte, es sei besser, wenn ich selbst nach Breslau gehe und die 6 Wochen 
dort verweile. Am Abend dieses Vornehmens suchte ich, wie schon lange ver 
geblich den Schlaf und kam bei aller Grübelei im Bette zu der wichtige» 
Entdeckung, daß diese Kur nichts werter sei als das, was der Herr vr. Dock 
„naturgemäße Lebensweise" genannt hatte, nur mit dem Unterschiede, daß ich 
dort in Breslau auch wieder gehörig mediziniren mußte, bei Ausübung der 
„naturgemäßen Lebensweise" aber nicht, und folgerte weiter: „wenn mich der 
Herr in Breslau von einem länger denn siebenjährigen Leiden durch solche 
Behandlung befreien könne, welch ein gesunder und kräftiger Mensch müsse ich 
erst werden, wenn ich diese Lebensweise für immer fortsetzte!" 
Nachdem mir dieses gewaltige Licht ausgegangen in dunkler Nacht, weckte 
ich meine Frau, teilte ihr meine wunderbare Entdeckung mit und wir beschlossen 
2 Uhr Nachts, am kommenden Morgen eine Probe-Kur von 6 Wochen mit 
der „naturgemäßen Lebensweise" zu beginnen; trete in dieser Zeit keine Besserung 
ein, so könne ich ja immer dann noch nach Breslau gehen. 
Am kommenden Morgen wurde statt Thee „Hafersuppe mit Grahambrod" 
genossen. Herr von Seeseld, zu dem ich eines Kochbuches wegen ging, schrieb 
mir, da keines vorrätig, seinen eigenen Haushaltsküchenzettel auf, und die Probe 
begann in allen Teilen nach vr. Dock. 
Meine Frau ließ sich, trotz meiner Bitten, in gewohnter Weise fortzuleben, 
nicht dazu bewegen; sie teilte vielmehr nach echter Frauenart freudig und gern 
meine, wie es mir anfänglich selbst vorkam, kärglichen und dürftigen Mahlzeiten. 
Kaum waren 8 Tage vergangen, da spürte ich schon eine Änderung in meinem 
Befinden. Es war die so hartnäckige Verstopfung, welche anfing zu weichen. 
Ohne Zuhilfenahme meiner alten Medikamente erfolgte einen um den andern 
Tag Stuhl; auch stellte der Schlaf sich schon viel leichter ein. Nach Verlauf 
von etwa 3 Wochen aber halte ich schon erreicht, was ich nicht einmal ganz 
leise mehr zu hoffen gewagt; ich hatte fast durchweg täglich zweimal 
Stuhl, schlief am Abend rasch ein und ungestört bis zum andern Morgen.
	        
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