Volltext: Der Naturarzt 1879 (1879)

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Gleich vom Anfang an war das Interesse schon dadurch erregt, daß qtne der schwersten 
Formen der Diphtherie nach wenigen Tagen bereits sechs Glieder einer Familie ergriff, 
welche man durch ihre Stellung den sonstigen schädlichen Einflüssen und der gewöhnlichen 
Ansteckung mehr entrückt glaubte, und deren Hilfsmittel eine rasche Beschränkung und Ver 
nichtung des eingeschleppten Giftes Hütten vermuthen lassen. Aber nicht minder mußte es, 
was bisher weniger in's Auge gefaßt wurde, die Aufmerksamkeit erregen, daß die Krankheit 
bei allen den Schrecken ihrer Bösartigkeit gerade auf die großherzogliche Familie beschränkt 
blieb und von der ganzen zahlreichen Hofhaltung und dem gesummten Wartepersonal Niemand 
weiter mehr von derselben befallen wurde — eine Thatsache, welche in Beziehung auf die 
Natur des hier wirkenden Contagiums, sowie auf seinen Verbreitungsort. ganz 'besondere. 
Schlüsse gestattet. Auch die Intensität, mit welcher die diphtherischen Processe bei den ein 
zelnen Kranken ohne Ausnahme auftraten, sowie die Steigerung, welche dieselben gradntim 
mit der fortschreitenden Jnfection erfuhren, sind sehr beachtenswerth. Die erste diphtherische 
Erkrankung (Prinzessin Victoria, 16 Jahre alt) wurde am 6. November von Dr. Eigen- 
brodt constatirt, die Kranke streng isolirt und die großherzogliche Familie selbst aufs Sorg 
fältigste überwacht. Fünf Tage lang kam kein neuer Erkrankungsfall vor, aber nun, nach 
5^—8tägigen Intervallen erkrankten vom 11. bis 13. Nov. in rascher Folge aufeinander 
die" übrigen Glieder der großherzoglichen Familie, und zwar in der Nacht vom 11. auf den 
12. Nov. Prinzessin Alix (6 Jahre alt), im Laufe des 12. Nov. Prinzessin Marie (4 Jahre 
alt), in der Nacht vom 12. auf den 13. Nov. Prinzessin Irene (12 Jahre alt), am Nach 
mittag des 13. Nov. der Erbgroßherzog Ernst Ludwig (10 Jahre alt) und endlich am 
14. Nov., 8 Tage nach der Erkrankung der Prinzessin Victoria und 2% Tage später als 
Prinzessin Alix. Se. k. Höh. der Großherzog selbst. Mit diesem Fall schien kein weiteres 
Umsichgreifen der Krankheit mehr stattzufinden, die große Hofhaltung, die zahlreiche Diener 
schaft, das Wartepersonal und was sonst im Palais verkehrte, blieb verschont — da erkrankt, 
nachdem die früher Jnficirten, mit Ausnahme der Prinzessin Ma.rie. welche in der Nacht 
vom 15. auf den 16. Nov. starb, bereits im Stadium der Reconvalescenz sich befanden, 
am 7. Dec., also 23 Tage nach der zuletzt aufgetretenen Erkrankung, plötzlich noch Ihre k. 
Höh. die Groß herzog in unter hochgradigem Fieber und allen Zeichen der bösartigsten 
Form der Diphtherie. In den vorausgegangenen Fällen war die Intensität der Krankheit, 
das Fieber und die locale Affection eine ganz außerordentliche. Auf den Mandeln, dem 
weichen Gaumen, dem Zäpfchen der hinteren Rachenwand kam es zu weit ausgedehnten, 
faserstoffigen E x s u d ä t i 0 n eu', welche 2—3 Millimeter dicke, schwartige, weiß-graue 
und g r a u - r ö t h l i ch e Membranen darstellten, und bei denen die Fibrin-Einlager 
ung und Gerinnung tief in das Gewebe der Mucosa erfolgte, so daß nach Abstoßung der 
Membranen überall weit ausgebreitete G e s ch w ü r e zurückblieben , welche unter mäßiger 
Eiter-Production nur langsam von den Rändern aus sich ausfüllten. Beim Erbgroßherzog 
war außer den Rachengebilden auch noch der Kehlkopf ergriffen und Heiserkeit und voll 
ständige Aphonie eingetreten. Die diphtherischen Einlagerungen wurden zum Theil unter 
Blutung abgestoßen und durch neue, die über größere Strecken sich ausdehnten, 
ersetzt, bis die Intensität der Krankheit gebrochen war und eine langsame Heilung er 
folgte/ Am 24. Nov., an welchem Tag ich den Prinzen zuletzt sah, waren an einzelnen 
Stellen noch Reste der früheren Membranen und ausgebreitete Geschwüre zu erkennen, 
welche erst an den folgenden Tagen sich vollkommen reinigten und zur Heilung kamen. Es 
ist diese Thatsache in Beziehung auf die nachfolgende Erkrankung Ihrer k. Höh. der Groß - 
Herzogin von Wichtigkeit und im Auge zu behalten. Noch bösartiger und das allgemeine 
Befinden noch tiefer erschütternd gestaltete sich der Krankheitsproceß in diesem letzten Falle. 
Am Abend des 7. D e c e m b e r wurde Ihre k. Höh. die Großherzogin von einem S ch ü t t el 
froste befallen, auf den Fieber folgte. und der herbeigeeilte Arzt fomtte sofort die 
beginnende diphtherische Erkrankung im Rachen der hohen Patientin nachweisen. Das Fieber 
stieg alsbald auf eine besorgnißerregende Höhe, die Temperatur schwankte zwischen 39 
und 40" C. und nur am 10. und 11. Dec. ging sie auf einige Stunden auf 38,3" O. herab, 
um aber sogleich wieder die alte Hohe von 39,2—39,7" 6. einzunehmen. Der Puls 
machte 120—130 Schlüge in der Minute, war klein und leer und nahm gleichfalls an den 
genannten Tagen an der geringen Remission theil, indem er hier seine Frequenz zum Theil 
aus etwa 1O0 Schläge ermäßigte. Die d i p h t h e r i s ch e n A u f l a g e r u n g e n zeigten 
sich zuerst auf der rechten Mandel und traten erst später ans der linken auf, während 
sämmtliche Rachengebilde sich sogleich als hochgradig entzündet zeigten und die Cer- 
v i c a l - und S u b m a x i l l a r - D r ü s e n erst der rechten und dann auch der linken 
Seite anschwollen und schmerzhaft wurden. Als ich am 10. Dec. die Kranke zum 
ersten Mal sah, war die rechte und linke Mandel von dicken, schwartigen, grau-weißen 
Membranen bedeckt, das Zäpfchen nnüs Dreifache vergrößert, stark ödematös 
und füllte den Raum zwischen den beiden geschwellten Mandeln fast vollkommen aus; auch 
auf Die Hintere Rachenwand hatten sich die Membranen von den Mandeln aus ausgebreitet,
	        
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