Volltext: Der Naturarzt 1879 (1879)

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einmal in die Friedrichstadt zu einer armen Wittwe zu gehen, deren 13jährigem 
Jungen im dortigen Krankenhause ein Bein abgenommen werden solle; sie 
bemerkte dabei, daß, wenn ich glaube, aus dem Wege der Wasserbehandlung diese 
Operation umgehen zu können, der Verein sich wohl herbeilassen würde, 
sür die nöthigen Kurkosten aufzukommen, um den Jungen vor Verstümmelnng 
zu bewahren. Bei meinem Besuche am andern Morgen in der bezeichneten 
Wohnung fand ich in einer leidlichen Parterrestnbe den fraglichen Jungen im Bette 
liegend und auf mein Befragen nach seiner Mutter, erhielt ich zur Antwort: 
daß selbige auf der Arbeit sei (als Aufwartefrau); nichts destoweniger ließ ich 
mir von ihm aber doch das schlimme Bein zeigen, auf welches er vor Schmerzen 
nicht auftreten konnte; ich fand auf der obern Halste des rechten Schienbeins, 
soviel ich wegen der Salbenschmiererei im Moment sehen konnte, eine Thaler 
große Wunde; bei meiner Forschung nach der Ursache derselben konnte mir 
Patient nichts weiter sagen, als daß keine Verletzung durch Fall oder Stoß, 
vorgekommen, sondern das Bein nach und nach von s e l b st so schlimm geworden 
sei, obgleich man pünktlich Alles befolgt habe, was der Arzt verordnete. 
Bei meinem demnachstigen Besuche bei der Frau Baronin bemerkte ich ihr 
nach geschehener Berichterstattung, daß ich eine Operation des Unterschenkels 
nicht dulden würde, wenn der Junge mir gehörte, sondern ich versuchte jeden 
falls vorher eine physiatrische Behandlung des ganzen Menschen (inel. des 
kranken Beines — versteht sich), zumal mir dessen Säftemasse in schlechter Ver 
fassung zu sein scheine und dann erst, lv^enn ich binnen Jahresfrist kein erfreu 
liches Resultat erzielte, wäre es meines Erachtens immer noch Zeit zum 
heillosen Beinabnehmen. Die Frau Baronin stimmte mir hierin vollkommen 
bei und ersuchte mich darauf, ihr meinen Kurplan mitzutheilen, damit sie im 
Verein Vorkehrungen treffen könne für das, was dazu etwa nöthig wäre. — 
Da die Wohnung des Patienten zu täglichem Besuch sür meinen Wärter 
zu entlegen, dort auch ein Bad nicht leicht zu beschaffen gewesen wäre, so 
schlug ich als das Einfachste vor, daß die Mutter ihren Sohn im Fahrstuhl 
wöchentlich wenigstens dreimal in meine Badeanstalt hereinbringe, wo ick ihm 
eine feuchte Ganzpackung bis zu guter Erwärmung mit darauf folgendem Halb 
bad geben lassen wolle; zu Hause solle ihm die Mutter nach Anleitung nächtlich 
einen feuchten Leibumschlag und an den vier freien Tagen früh und Abends eine 
partielle feuchte Abreibung des ganzen Körpers und unausgesetzt Tag und Nacht 
feuchten Verband des rechten Unterschenkels machen; in Bezug auf Beköstigung 
verordnete ich früh und Abends gute frische Milch und Schrotbrod, Mittags 
gutes trockenes Gemüse in Wasser gekocht, manchmal auch Hülsenfrüchte; in der 
Zwischenzeit frisches Obst nach der Jahreszeit. — 
Darnach ergriff nun die Frau Baronin ihre Maßregeln und ordnete an, 
daß die Mutter vom Verein soviel Unterstützung bekam, daß sie nicht mehr 
durch Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen brauchte, sondern sich der Pflege 
ihres Sohnes voll widmen konnte, in der Badeanstalt stellte man den Preis 
auch möglichst billig und ich nahm selbstverständlich Nichts für meine mehr 
monatliche Behandlung; als Resultat derselben, welche leider durch die Witterung 
nicht besonders begünstigt wurde, so daß wenig Sonnenbäder möglich waren, 
kann ich mittheilen, daß die Wunde sich mehr und mehr reinigte und neuer 
Stoff zur Ausfüllung gebildet wurde, so daß die Oeffnung sich allmählig schloß, 
resp. die Wunde z u h e i l t e und der Junge sein Bein zum Gehen wieder ge 
brauchen und später in die Lehre treten konnte. 
Bei günstigeren ökonomischen Verhältnissen, wenn ich nach meinem Ermessen 
unbeschränkt hätte anordnen dürfen, würde der Heilproeeß vielleicht etwas rascher
	        
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