Volltext: Der Naturarzt 1878 (1878)

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Mein Besuch bei der vr.-Murin Drau Amalie Haheneßer 
in Mariabrunn bei München, 
nebst meinen Reflexionen über ihre Kurmethode 
von 
Hitstav Woköold. 
(Fortsetzung.) 
Mariabrunn wurde unter der Wunderdoktorin zu einer großen Kuranstalt, 
welche Hunderte (?) von Patienten beherbergen konnte. Vor ihr war das Oertchen mehr 
als Wallfahrtsort denn als Gesundbrunnen bekannt gewesen und es wurde ihr vom bay 
rischen Hof, wie es heißt, um eine sehr geringe Summe überlassen. Das 
Renommee des Gnadenortes ging bald auf ihre Kuranstalt über und nahm alsdann die 
merkwürdigsten Dimensionen an. Von Jahr zu Jahr vergrößerte sich die Anstalt und zu 
gleich kaufte sie in der Umgegend Grund und Boden auf, legte eine große Oekonomie an 
und eine Brauerei und saß in der letzten Zeit im „F ü r st e n haus e" zu Mariabrunn 
als Großgrundbesitzerin! Eine ganz respektable Carriere für 
-eine arme Zigeunermaid! Das meiste Geld brachten ihr die fürstlichen 
Kundschaften zu und daneben die Russen. Weshalb gerade die Russen für die „Wissen 
schaft" der Bauerndoktorin in so ungewöhnlichem Maße eingenommen wurden, wäre nicht 
so schwer zu ergründen. Zwei Großfürstinnen sollen in Mariabrunn ihre Ge 
nesung gefunden haben und dem Beispiele dieser Damen folgte alsbald die ganze russische 
Aristokratie. In der Petersburger Welt gehörte es nachgerade, zum guten Ton, nach 
Mariabrunn in die Kur zu gehen. Mehre h u n d e r t Russen brachten ihr noch im ver 
gangenen Jahre, bei Gelegenheit ihres Namenstages, eine großartige Ovation dar und 
überreichten ihr kostbare Geschenke. Die Geschenke, welche sie von den reichen Patienten 
erhielt, waren in manchen Jahren enorm. Eine Großfürstin soll ihr nicht weniger 
als zehntausend Rubel als Honorar gegeben haben und außerdem Brillanten 
und Ma l a ch i t v a s e n. Aber in ihrer ärztlichen Behandlung war die Doktorin völlig 
unparteiisch und kurirte — ob Russe oder Türke, ob Oesterreicher oder Franzose, ob 
Egypter oder Yankee — alle nach einer und derselben Methode, nach 
einem und demselben Recept. Dieses kostbare Recept, ihr W u n d e r m i t t e l, 
ihr ganzes medizinisches Geheimniß bestand in der Bereitung eines „Gesundheits 
thees", welcher beiläufig auch dieselbe Wirkung hatte wie ein abführendes Decoct. 
Dieser weibliche Doktor Eisenbart kurirte alle Leute nach einer und der 
selben Art mit einem wohlthätigen Purgirmittel, welches niemals Schaden 
bringen konnte und in vielen Fällen ganz wohlthätig wirkte. Das „Wunder-Recept" 
wollte sie von ihrem wackeren Großvater, demselben, der an den G a l g e n k a m, 
geerbt haben , das einzige, aber jedenfalls werthvolle Erbstück. Von dem wackeren Groß 
vater hatte sie auch die Kunst, die „Krankheit zu erkennen", nämlich durch das 
„Wasser". Dieser Theil ihrer Methode war ebenso bedeutend wie die Bereitung und 
Anwendung des Thees. Jeder Patient mußte ihr das „Wasser" zeigen, ohne dasselbe 
konnte sie nicht arbeiten. Das Wasser hielt sie gegen das Licht und diagnostizirte daraus 
sofort mit der größten Ruhe und Bestimmtheit jede Krankheit. Uns Münchener Aerzte, 
die wir ihr den Schwindel dieser Methode vorhalten wollten, nannte sie einfach Schafs- 
köpfe. Sie war überhaupt sehr kurz angebunden in ihren wissenschaftlichen Erörterungen. 
Sobald sie das Wasser eines Patienten gesehen hatte, verschrieb sie ihm das Recept, nämlich 
ihren Thee und verordnete nebenbei Diät, mäßigen Spaziergang im frischen 
Tannenwalde und — Luft und Sonnenschein! Der Thee, Luft und Sonnen 
schein thaten in den meisten Fällen Wunder, besonders bei f e t t w a n st i g e n 
Patienten, bei kranken Lebern, bei Engbrüstigkeit und natürlich in 
mancherlei Frauenkrankheiten, so namentlich bei Nervenleiden. Die 
„Nervenleiden" waren ihre starke Seite und sie behauptete, sich in diesem noch 
immer ziemlich dunklen Gebiete besser auszukennen, wie der schärfste Anatom. Die A n a- 
t o m i e war für sie natürlich ein lächerliches, ein einfältiges Studium. 
vr. Gleich, der medizinische Renegat, welcher zuerst von den Wahrheiten 
des Grasenderg (Prießnitz) eingenommen war, dann von den Schriften 
Rau ss e's begeistert, einige Zeit in Bru n n th al bei München für Wasser- 
kuren schwärmte, nachdem er seinen Posten als Regimentsarzt bei den Kü
	        
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