Volltext: Der Naturarzt 1878 (1878)

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Zur Beruhigung wegen Cinfnrnng der urdentschen, 
lauttrenen Schreibweise. 
Von 
Oustai» Wokkold in Dresden. 
Motto: 
Ich will Ariden haben mit meinem Volke! 
Max, König von Baicrn. 
Wi ich ante, hat mein unverhoffter Versuch mit der lauttreucn (fonetischen) 
Schreibweise verschidcne Ausname bei meinen Lesern gefunden, weshalb ich cs 
angezeigt finde, mit denselben mich noch etwas mer darüber zu verständigen; 
ich zweifle auch gar nicht am Gelingen, da die Anhänger und Vererer einer 
vernünftigen Lebens- und H e i l w e i s e auch nur Freunde einer v e r n ü n f- 
tigen und konsequenten Schreibweise sein können, welche Eigen 
schaften der üblichen, so willkürlichen, Ortografi keineswegs zukommen! 
Ich hätte gern schon den Jargang 1872 bei Aenderung des Formates mit der 
historischen, urdeutschen und lauttreuen Schreibweise begon 
nen, wenn mich damals nicht manche Bedenken davon abgehalten hätten, welche 
jetzt weniger schwer wigen, so daß cs blos noch der Aufforderung des „V e r e i n s 
für deutsche Rechtschreibung" bedurfte, um mich zu einem Versuch 
damit in einer Zeitschrift, die dem Fortschritt huldigt, zu ermutigen, 
nicht weil, sondern obgleich disc Anregung von Berlin ausgegangen, 
von woher auch ich mich nicht one Weiteres masregeln lasse. 
Nun also — ein Teil meiner Leser hat dise in Nr. 1 versuchte 
Schreibreform mit warcm Jubel begrüßt und mir lebhaft applaudirt, 
daß ich den m ö n ch i s ch - v e r h u n z t e n S p r a ch l e i b der Mutter Germania ■ 
von irrn Infarkten, Bandwürmern und Trichinen (d. s. lautlose unnütze 
Buchstaben) zu reinigen, resp. nach einer präcisen Regel alle Buchstaben- _ 
leichen über Bord zu werfen begonnen, so daß nunmer — um mich-blWLchs 
auszudrücken — das Schiff Ger m a n i a leicht, zirlich und elegant auf den 
Tonwellen daher segeln kann! Ein anderer Teil (es stiK mir wol gegen 
20 Brise und Karten über dises Tema bis jetzt zugekommen!) hat mich aber 
bestürmt und beschworen, unsere herrliche (?) deutsche Sprache doch ja nicht 
nach diser verrückten berliner Schreibweise zu verballhornen, sondern es getrost 
beim Alten zu lassen und auch ferner nur so zu schreiben, wie unsere großen 
Klassiker geschriben, ja von Berlin selbst, disem Vorort deutscher Intelligenz, 
schreibt mir ein der Rechtswissenschaft beflissener Abonnent mit dürren Worten: 
„Ich hin erstaunt über die neu angenommene Schreibweise. Halten Sie sich doch 
an unsere Sache, das ist die Naturheilkunde; treiben Sie keine Allotria; 
welchen Einfluss kann Ihr Journal auf die Fortentwickelung der Orthographie haben, 
zumal sich gezeigt hat, dass die Urtheile darüber soweit auseinander gehen, dass 
die nächste Zeit der Debatte und nicht dem Handeln gewidmet ist? Sie haben 
kein Beeilt, Ihre Leser an eine andere Schreibweise zu zwingen! I 
Natürlich wird nun alle Welt mit Fingern auf uns weisen; man wird uns nachsagen, 
dass wir uns um Dinge kümmern, die uns gar nichts angehen (oho ?)! Ich warne 
und wasche meine Hände in Unschuld! Im Uebrigen besten Gruss von Ihrem — N.“ 
Darauf erwidere ich nun Folgendes: Nicht erst seit gestern beschäftige ich 
mich mit der ortograstschen Frage, sondern schon im Stuttgarter Gimnasium 
grübelte ich darüber, warum man Wörter, die ganz gleich lauten, doch 
verschiden schreibt, gerade als ob man darauf ausginge, den Schülern 
das Erlernen unserer Sprache recht schwer zu machen! Später sah ich mer 
und mer ein, daß unsere landläufige deutsche Schreibung sich in großer Schwan 
kung befindet und keineswegs, wie man denken sollte, von einfachen faßbaren
	        
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