Volltext: Der Naturarzt 1876 (1876)

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habe! Auch nicht minder ist in diesem verschleierten Borwurfe die Absicht 
zu erkennen gegeben, die Staatsregierungen von den Obermedizinalkollegien 
noch mehr abhängig zu machen, als es leider bisher der 
Fall ist. Nicht minder liegt in diesem ganzen Antrage das Reservat der 
Huldigung der Orthodoxie und die Absicht, nur orthodoxe Aerzte 
zu Amtsärzten zu berufen, damit die jetzt so schwankende medizi 
nische Glaubenslehre, dieser medizinische Jesuitismus, 
aufrecht erhalten werde — denn die Intentionen liegen gar zu nahe! — 
Doch was können alle diese Bestrebungen nützen! Sie müssen doch alle 
sammt und sonders dem Zeitgeiste weichen, denn die Macht der Erleuchtung, 
der Aufklärung ist stärker, als jene krankhafte, von Wahnwitz und 
Eigennutz eingegebene und auf unsere fortwährende jesuitische Ver 
dummung hinzielende Heillehre unserer Tage. Diese veraltete und 
ausgefahrne Bahn muß und wird sich brechen an dem gesunden Sinne des, 
wenngleich kranken Volkes, da ja jetzt schon erleuchtete Führer einer ratio 
nellen Lehre nicht mehr fehlen, und es zur Bedingung geworden ist, der 
fortschreitenden Fäulniß der alten Heilkunde einen Damm entgegenzusetzen. 
Diese Reform kann und darf nicht ausbleiben und ihr wird auch die 
Schließung der Apotheken, als der Rüstkammer so großen Aber 
glaubens, nachfolgen. Es wird ein Streit entbrennen zwischen den Anhängern 
der alten und der neuen Lehre und noch ehe mit Rom Frieden geschlossen 
ist, denn die Vorbereitungen hierzu liegen im JmpfzWange und in der 
noch verschleierten, von mir oben angedeuteten Propaganda; allein 
sein Ausgang kann nicht zweifelhaft sein, denn der Zeitgeist wird das Feld 
behaupten! 
In keiner Lebenssphäre herrschen so viele Widersprüche und Irr 
thümer, als in der medizinischen Wissenschaft; das zeigen die wie 
die Jahreszeiten wechselnden und sich immer und immer überstürzenden Sy 
steme, das zeigt die unsichere und haltlose Therapie, das zeigt die Ver 
größerung der Kirchhöfe und der noch nie, von keiner Seite 
gestellte Antrag des Collegiums der Stadt München! 
So viel auch geschcidte und weife Männer dieser Wissenschaft seit zwei 
tausend Jahren gedacht, geforscht und geschrieben haben, so ist doch die 
alte Schule über die Behandlung eines einfachen Fiebers noch nicht im 
Klaren und deshalb lacht noch immer der von heut' über den von gestern! — 
Und dies muß Anders werden, weil die medizinische Wissenschaft mit ihren 
Universitäten sich überlebt hat, weil die Heilkunde keine festen 
Prinzipien besitzt. Die medizinische Wissenschaft muß eine andere Grund 
lage als die bisherige erhalten, sie muß auf andere Grundlagen und Grund 
sätze aufgebaut werden, der aus alter Zeit hierher geschleppte Aberglaube 
an die Wirkungen der Arzneien und ihrer Zufluchtsorte, die Apotheken, 
muß verschwinden und einem rationellen Heilverfahren weichen und die 
fernere Creirung von Stellen an den Universitäten über Arzneimittellehre 
muß unterbleiben aus anti-jesuitischen Gründen, wenn der Nothschrei 
der leidenden Menschheit ein Ende nehmen soll. 
Auf dem Gebiete der Rechtspflege hat man seine Jnstanzenzüge zur 
Sicherheit des Rechts; sogar das Laienurtheil hat man zum Wahrspruche 
zugelassen und Niemand kann sich beklagen, daß eine Gesetzesübertretung nach 
Systemen und Methoden gerichtet werde, wie Letzteres beim Menschenleben der 
Fall ist. In der Gesundheitspflege allein gilt der Ausspruch des Ein 
zelnen! — und sei er noch so schwach im Geiste — und der Leidende em-
	        
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